Operative Eingriffe aufgrund von Rückenbeschwerden nehmen stark zu. Von 2007 bis 2015 stiegen sie um 71 Prozent von 452.000 auf 772.000. Dabei fällt auf, dass bestimmte Rückenoperationen je nach Wohnort der Patienten unterschiedlich häufig durchgeführt werden. Die regional sehr großen Unterschiede haben sich über die Jahre sogar verfestigt. Die Ergebnisse beruhen auf einem neuen Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann-Stiftung, der die Häufigkeit von drei ausgewählten Rückenoperationen in allen 402 Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands untersucht hat. Betrachtet wurden die Häufigkeiten von Versteifungsoperationen (Spondylodesen), Entfernungen knöcherner Strukturen am Wirbelkanal (Dekompressionsoperationen) und Bandscheiben-OPs.
Gravierende regionale Unterschiede bei OP-Häufigkeiten
Gravierende regionale Unterschiede zeigen sich bei aufwendigen Versteifungsoperationen. Bei Patienten im Landkreis Fulda finden 13-mal so viele Eingriffe statt wie in Frankfurt/Oder (siehe Grafik im Anhang: Wo wird am häufigsten operiert). Auffällig hohe Operationszahlen je 100.000 Einwohner weisen viele Kreise in Thüringen, Hessen und im Saarland auf. Hingegen kommen Versteifungsoperationen in den meisten sächsischen Kreisen und in Bremen deutlich seltener vor. Bei Dekompressionsoperationen am Wirbelkanal wurden ebenfalls Unterschiede bis zum 13-fachen, bei Bandscheibenoperationen bis zum sechsfachen festgestellt.
Zudem zeigen die Ergebnisse in den »OP-Hochburgen«, dass sich die Situation in den letzten Jahren zugespitzt hat. So ist in Nord- und Osthessen sowie im angrenzenden Westthüringen mittlerweile ein zusammenhängendes Gebiet entstanden, in dem fast alle Stadt- und Landkreise sehr hohe Operationsraten aufweisen. »Es braucht dringend mehr Transparenz über die Gesundheitsversorgung vor Ort, um Ãœber- oder Unterversorgung zu vermeiden«, sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.
Aufenthalt im Krankenhaus ist häufig vermeidbar
Der Faktencheck hat zudem ermittelt, wie oft Patienten wegen der ‚breiten‘ Diagnose Rückenschmerzen (ICD-M 54) im Krankenhaus aufgenommen werden. Seit 2007 haben sich die Aufnahmen von 116.000 auf 200.000 im Jahr 2015 erhöht. Das entspricht einer Steigerung um 73 Prozent. Auch hier fallen die großen und zunehmenden Unterschiede zwischen den Kreisen auf: Während beispielsweise in Heidelberg nur 58 oder in Kiel 91 von 100.000 Menschen mit der Diagnose Rückenschmerzen (M54) ins Krankenhaus kommen, sind es im westfälischen Hamm 815 und in Osterrode am Harz 919. Bei dieser Diagnose sind Klinikaufenthalte jedoch häufig vermeidbar. Die Mehrzahl dieser Patienten erhält im Krankenhaus keine spezifische Schmerztherapie oder operative Eingriffe, sondern überwiegend lediglich diagnostische Leistungen, beispielsweise ein MRT. Solche Maßnahmen könnten zumeist auch ambulant erfolgen.
Operieren oder nicht – das hängt auch von den Gewohnheiten der Ärzte ab
Warum die Versorgung in den Regionen so unterschiedlich ist, lässt sich mit den zur Verfügung stehen Daten nur schwer erklären. Viele Faktoren spielen zusammen und das je nach Region unterschiedlich stark. Große regionale Abweichungen sind jedoch ein Indiz dafür, dass sich die Organisation der Versorgung und die Vorgehensweise bei Diagnostik und Therapie von Rückenbeschwerden sehr stark unterscheiden. »Lokale Versorgungsmuster verstärken sich, wenn klare medizinische Leitlinien fehlen«, sagt Eckhard Volbracht, Gesundheitsexperte der Bertelsmann-Stiftung. Ohne einheitliche Leitlinien eröffnen sich Ärzten Behandlungsspielräume, die zu regional unterschiedlichen Versorgungsgewohnheiten führen können. »Die Entscheidung für einen operativen Eingriff darf jedoch nicht aufgrund von individuellen Vorlieben der ortsansässigen Ärzte fallen«, mahnt Volbracht. Vielmehr sollten Ärzte verständlich über Nutzen und Risiken von Behandlungen informieren und unabhängig von finanziellen Interessen gemeinsam mit dem Patienten über das weitere Vorgehen entscheiden.
Planung und Steuerung am Patientenwohl ausrichten
Bisherige Versuche, die Versorgung bedarfsgerechter zu gestalten, konnten die erheblichen Anstiege der stationären Aufnahmen und operativen Eingriffe sowie die großen regionalen Unterschiede nicht verhindern. Unterschiedliche Interessen und ungeklärte Zuständigkeiten stehen notwendigen Verbesserungen oft im Weg. Deshalb braucht es eine effektive Planung und Steuerung. Wie sich unnötige Krankenhausaufenthalte vermeiden lassen, macht Schleswig-Holstein vor: Die flächendeckende Einrichtung von Notfallpraxen hat bewirkt, dass deutlich weniger Patienten aufgrund der Diagnose Rückenschmerzen als Notfall stationär aufgenommen werden.
Die wesentlichen Handlungsempfehlungen der Bertelsmann-Stiftung auf einen Blick: Regionale Unterschiede deutlich machen und Transparenz vor Ort herstellen, Medizinische Leitlinien entwickeln und anwenden, Patienten umfassend über die Vor- und Nachteile von Behandlungsalternativen informieren, Strukturplanung und Finanzierung verbessern.
Zusatzinformationen
Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat das IGES-Institut (Autoren: Karsten Zich und Thorsten Tisch) Analysen zu rückenschmerzbedingten Krankenhausaufenthalten und operativen Eingriffen auf Grundlage der Fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) und Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes durchgeführt. Die Daten haben einen Wohnortbezug, das heißt sie gelten für die Bevölkerung des jeweiligen Kreises, nicht für den Versorgungsort. Um alters- und geschlechtsspezifische Aspekte herauszurechnen, wurden die Daten direkt standardisiert. Im Detail wurden die folgenden drei Eingriffe untersucht, die teilweise während einer Operation durchgeführt werden:
OPS 5-831 – Entfernung Bandscheibengewebe
OPS-5-839.6 – Entfernung knöcherner Anbauten am Wirbelkanal (Knöcherne Dekompression)
OPS 5-836 – Verblockung/Versteifung von Wirbelkörpern (Spondylodese)