Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie stehen Journalistinnen und Journalisten in vielen Teilen der Welt so stark unter Druck wie selten zuvor. Informationssperren und staatliche Desinformation, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Medienschaffende schränkten die Pressefreiheit auf allen Kontinenten ein. Die Rangliste der Pressefreiheit 2021 von Reporter ohne Grenzen zeigt, dass repressive Staaten die Pandemie missbrauchten, um freie Berichterstattung weiter einzuschränken, und sich auch gefestigte Demokratien in der Krise schwertaten, sicherzustellen, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit machen können.
Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 gab es so wenige Länder, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als „gut“ bewertete. Ihre Zahl sank von 13 auf 12. Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen: „Aufgrund der vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen mussten wir die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von ‚gut‘ auf nur noch ‚zufriedenstellend‘ herabstufen: ein deutliches Alarmsignal.“
Rediske weiter: „Unabhängiger Journalismus ist das einzig wirksame Mittel gegen die Desinformations-Pandemie, die seit einem Jahr die Corona-Pandemie begleitet. Gleichzeitig ist es im vergangenen Jahr für viele Journalistinnen und Journalisten schwieriger denn je geworden, ohne Angst vor Gewalt oder Repressionen zu arbeiten. Wenn die Welt nun hoffentlich bald zur Normalität zurückkehrt, muss auch der Respekt für die unabdingbare Rolle des Journalismus für eine funktionierende Gesellschaft zurückkehren.“
Corona-Pandemie verstärkte und festigte repressive Tendenzen
Die Corona-Pandemie verstärkte und festigte weltweit repressive Tendenzen: In Ungarn wurde die Verbreitung von „Falschmeldungen“ über die Pandemie ebenso unter Strafe gestellt wie in Malaysia. Ägypten verbot die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen, das Assad-Regime in Syrien verhängte eine Nachrichtensperre für alle Medien außer der staatlichen Nachrichtenagentur. Tatsächliche Desinformation ging in der Pandemie von zahlreichen Regierungen sowie Staats- und Regierungschefs aus. Der damalige Präsident der USA, Donald Trump, propagierte ebenso wirkungslose oder sogar gefährliche Mittel gegen Covid-19 wie seine Amtskollegen Jair Bolsonaro in Brasilien oder Nicolás Maduro in Venezuela.
In so unterschiedlichen Staaten wie China, Venezuela, Serbien und dem Kosovo wurden Medienschaffende wegen ihrer Corona-Berichterstattung festgenommen. In China sitzen aktuell mehr als 100 Medienschaffende im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt.
Doch auch jenseits der Pandemie fanden autoritäre Regime Anlässe, um unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken. In Vietnam kam es im Vorfeld des Kongresses der Kommunistischen Partei zu einer Verhaftungswelle. In Belarus wurden im Laufe des Jahres mehr als 400 Medienschaffende festgenommen, die meisten von ihnen vorübergehend. Sie hatten über die Massenproteste nach der umstrittenen Präsidentenwahl berichtet. In Algerien und Marokko wird die Justiz missbraucht, um kritische Journalistinnen und Journalisten mit absurden Anklagen einzuschüchtern. Russland führte eine Vielzahl von Gesetzen ein, die die Pressefreiheit weiter einschränken und Online-Überwachung verstärken.
In verschiedenen Teilen der Welt hetzten Staats- und Regierungschefs gegen die Institution Presse wie auch gegen einzelne Journalistinnen und Journalisten und schufen so ein Klima der Aggressivität und des Misstrauens. Beispiele sind Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien und Ministerpräsident Janez Janša in Slowenien. In den USA schlug die aggressive Atmosphäre in nie dagewesenem Ausmaß in Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten um, vor allem im Umfeld der Black-Lives-Matter-Proteste. Auch in anderen Ländern kam es im Zusammenhang mit Demonstrationen zu Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten, so etwa in Deutschland, Frankreich, Haiti, Chile und Kirgistan.
Länder wie Mexiko und Honduras, aber auch Afghanistan und der Irak bleiben lebensgefährlich für Medienschaffende. Die meisten Journalistenmorde früherer Jahre sind weiterhin ungesühnt. In einem der prominentesten Fälle, dem des Journalisten Jamal Khashoggi, torpediert Saudi-Arabien nach wie vor unabhängige Ermittlungen. Im Iran wurde 2020 der Journalist Ruhollah Sam hingerichtet – die erste staatliche Exekution eines Medienschaffenden seit 30 Jahren.
Pressefreiheit in fast drei Viertel der Länder bedeutend eingeschränkt
Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 gab es so wenige Länder, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als „gut“ bewertete. Ihre Zahl sank von 13 auf 12. Das Land, dessen Situation nicht mehr als „gut“, sondern nur noch als „zufriedenstellend“ bewertet wird und dessen Farbe auf der Weltkarte der Pressefreiheit folglich von weiß zu gelb wechselt, ist Deutschland. Dort wurden Dutzende Journalistinnen und Journalisten auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen angegriffen. In 73 von 180 Ländern wird unabhängiger Journalismus weitgehend oder vollständig blockiert (rot oder schwarz auf der Weltkarte), in 59 weiteren ernsthaft behindert (orange auf der Weltkarte). Demnach ist die Pressefreiheit in fast drei Viertel der Länder der Welt zumindest bedeutend eingeschränkt.
Länder, die sich auf der Rangliste der Pressefreiheit 2021 deutlich verbessert haben, liegen vor allem in Subsahara-Afrika, allen voran Burundi, die Seychellen, Sierra Leone und Mali. Nichtsdestotrotz bleibt Afrika der gefährlichste Kontinent für Medienschaffende. Die größten Abstiege haben mit Malaysia, den Komoren und El Salvador drei Länder zu verzeichnen, in denen die jeweiligen Regierungen mit aller Macht die Deutungshoheit über die Corona-Pandemie behalten wollen.
Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland erreicht nie dagewesene Dimension
Deutschland verschlechtert sich in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit um zwei Plätze vom 11. auf den 13. Rang. Seine Punktzahl rutscht von 12,16 auf 15,24 ab und überschreitet damit die Marke von 15 Punkten, ab der RSF die Situation in einem Land als „zufriedenstellend“ einstuft und nicht mehr als „gut“. Die Farbe Deutschlands auf der Weltkarte der Pressefreiheit wechselt entsprechend von weiß auf gelb.
Hauptgrund dieser Bewertung ist, dass Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland im Jahr 2020 eine noch nie dagewesene Dimension erreicht hat: Im Kalenderjahr 2020 zählte RSF mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten im Land. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 (mindestens 13 Übergriffe) verfünffacht. Die Organisation geht zudem davon aus, dass die Dunkelziffer 2020 höher ist als in den Vorjahren.
Die Mehrheit der körperlichen und verbalen Angriffe ereignete sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden gestoßen, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert. Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe ereigneten sich auf oder am Rande von Demonstrationen, darunter neben den Corona-Protesten zum Beispiel auch auf Demos gegen das Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org und auf Demos zum 1. Mai.
Ein positives Zeichen für die Pressefreiheit in Deutschland setzte im Mai 2020 das Bundesverfassungsgericht, als es die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärte. Doch das BND-Gesetz bleibt auch in der Ende März 2021 verabschiedeten Neufassung problematisch und schließt die Möglichkeit zur Überwachung ausländischer Medienschaffender weiter nicht aus. Zudem will die Bundesregierung zahlreiche neue Möglichkeiten zur Daten-Überwachung durch Geheimdienste und die Bundespolizei schaffen.
Situation in 180 Ländern im Vergleich
Die Rangliste der Pressefreiheit 2021 vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Grundlagen sind ein Fragebogen zu verschiedenen Aspekten journalistischer Arbeit sowie die von RSF ermittelten Zahlen von Übergriffen, Gewalttaten und Haftstrafen gegen Medienschaffende im Kalenderjahr 2020. Daraus ergeben sich für jedes Land Punktwerte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder die Platzierung in der Rangliste ergeben. Über die Entwicklung der Situation in einem Land gibt entsprechend eher ein Vergleich der Punktwerte verschiedener Jahre Auskunft als die Bewegung auf der Rangliste. Abhängig vom Abschneiden anderer Länder kann ein Land in der Rangliste im Einzelfall auch aufsteigen, obwohl sich seine Punktzahl verschlechtert hat, und umgekehrt. (Mehr zur Methodik der Rangliste hier: xxx LINK xxx)
Die Befragung fand zwischen Mitte Dezember 2020 und Ende Januar 2021 statt. Ereignisse, die danach stattgefunden haben, wie etwa der Militärputsch in Myanmar, spiegeln sich dementsprechend nicht in der Rangliste wider.
Globaler Indikator der Pressefreiheit fast unverändert gegenüber Vorjahr
Aus der Summe der Punktwerte aller bewerteten Länder bildet RSF einen globalen Indikator der Pressefreiheit, der eine Bewertung der Entwicklung weltweit sowie einen Vergleich verschiedener Weltregionen erlaubt. 2021 ist er um 0,3 Prozent gesunken, was eine minimale Verbesserung der globalen Lage der Pressefreiheit bedeutet. Gegenüber dem Jahr seiner Einführung 2013 zeigt der Indikator eine Verschlechterung um rund 12 Prozent an, wobei er seit seinem Höchststand im Jahr 2017 um 1,9 Prozent gesunken ist und sich somit langsam verbessert.
Gegenüber dem Vorjahr verschlechtert hat sich die Lage der Pressefreiheit auf dem amerikanischen Doppelkontinent (um 2,5 Prozent), in Subsahara-Afrika (um 1,9 Prozent), Asien-Pazifik (um 1,3 Prozent) sowie Nahost und Nordafrika (um 0,7 Prozent). In Osteuropa und Zentralasien (um 3,7 Prozent) und vor allem in der Region EU-Balkan (um 6,4 Prozent) hat sie sich verbessert. Osteuropa und Zentralasien ist aber noch immer die Weltregion, in der es am zweitschlechtesten um die Pressefreiheit steht. Schlusslicht ist nach wie vor die Region Naher Osten und Nordafrika. Im regionalen Vergleich am besten ist die Situation in den Staaten der EU und des Balkans.
Aufsteiger und Absteiger
Die größten Aufsteiger finden sich in diesem Jahr in Afrika südlich der Sahara. Ihr Aufstieg geht vor allem auf den Rückgang von Gewalt und die Abschaffung restriktiver Gesetze zurück, häufig einhergehend mit einem Machtwechsel. In Burundi (147, +13) wurden vier inhaftierte Mitarbeitende des Senders IWACU nach mehr als einem Jahr Willkürhaft freigelassen. Sierra Leone (75, +10) schaffte ein Gesetz ab, das Pressevergehen unter Strafe stellte. In Mali (99, +9) ging die Zahl der Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten zurück.
Den größten Abstieg hat Malaysia (119, -18) zu verzeichnen, nachdem es im Vorjahr noch nach einem überraschenden Regierungswechsel um 22 Plätze aufgestiegen war. Der Staat strebt in der Corona-Krise und darüber hinaus nach absoluter Kontrolle über Informationen. Stark gefallen sind zudem die Komoren (84, -9), wo die Regierung durch Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten versuchte, die Informationshoheit über die Corona-Pandemie zu behalten, und El Salvador (82, -8), wo Präsident Nayib Bukele seit Amtsantritt im Juni 2019 immer wieder regierungskritische Journalistinnen und Journalisten attackiert und bedroht.
Spitzenreiter und Schlusslichter
Wie in den vergangenen Jahren machen die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum fünften Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1, auch wenn sich norwegische Medien im vergangenen Jahr über einen schwierigen Zugang zu öffentlichen Informationen zur Corona-Pandemie beschwerten. Finnland liegt nach wie vor auf Platz 2, während Schweden (3, +1) und Dänemark (4, -1) die Plätze getauscht haben. Direkt darauf folgt Costa Rica (5, +2) als mit Abstand bestplatziertes Land Lateinamerikas, in dem Menschenrechte und Meinungsfreiheit respektiert werden wie in keinem anderen Land der Region.
Auch am Ende der Tabelle hat sich wenig getan: China verharrt unter anderem aufgrund umfassender Internetzensur und Überwachung sowie Propaganda im In- und Ausland auf Platz 177. Es folgen drei totalitäre Regime, die seit Jahren die letzten drei Plätze belegen: Turkmenistan (178, +1), Nordkorea (179, +1) und Eritrea (180, -2). Alle drei haben gemeinsam, dass die jeweilige Regierung die komplette Kontrolle über alle Informationsflüsse hält. So erhalten Turkmenistan und Nordkorea die Behauptung aufrecht, dass es in ihren Ländern keinerlei Corona-Fälle gebe. Eritrea hüllt sich noch immer in Schweigen über den Verbleib von elf Journalisten, die vor 20 Jahren verhaftet wurden und über deren weiteres Schicksal kaum etwas bekannt ist.
Europäische Union und Balkan
In der EU und auf dem Balkan stieß der Versuch unabhängiger Berichterstattung auf weitaus mehr Aggressivität und Gewalt als in den Vorjahren. Der Indikator, der die Zahl und Intensität von Übergriffen misst, hat sich mehr als verdoppelt. Wie in Deutschland wurden auch in Italien (41, +/-0) zahlreiche Reporterinnen und Reporter auf Corona-Demonstrationen von Protestierenden angegriffen. In Frankreich (34, +/- 0) gab es etliche Fälle von Polizeigewalt gegen Berichterstattende, vor allem auf Demonstrationen gegen ein neues Polizeigesetz und das sogenannte globale Sicherheitsgesetz, das die Möglichkeiten, Fotos und Videos von Polizeikräften zu verbreiten, drastisch einschränken soll.
In Griechenland (70, -5) wurden zudem in mehreren Fällen Reporterinnen und Reporter festgenommen, die sich ein eigenes Bild von der Geflüchtetenkrise auf den griechischen Inseln machen wollten. In Spanien (29, +/-0) hielten die Behörden auf den Kanarischen Inseln Informationen über aus Seenot gerettete Geflüchtete zurück und schirmte die Menschen so ab, dass es unmöglich war, ihre Situation mit der Kamera zu dokumentieren.
Großbritannien (33, +2) sendet ein verheerendes Zeichen für die Pressefreiheit aus, indem es den Wikileaks-Gründer Julian Assange seit nunmehr zwei Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis festhält, wo sich sein Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert hat. Eine Richterin entschied zwar im Januar, ihn nicht an die USA auszuliefern, begründete dies aber mit seiner fragilen psychischen Gesundheit anstatt mit dem Schutz der Pressefreiheit. Ihre anschließende Entscheidung, Assange für die Dauer des Berufungsverfahrens nicht freizulassen, war ein zusätzlicher Rückschlag.
Ungarn (92, -3) schaltete mit dem landesweit größten Nachrichtenportal Index.hu und dem kritischen Radiosender Klubrádió zwei weitere wichtige unabhängige Medien de facto aus. Die Verbreitung von „Falschmeldungen“ über die Corona-Pandemie wurde unter Strafe gestellt, unabhängige Medien dürfen nicht mehr in Krankenhäusern und Corona-Impfzentren filmen.
In Polen (64, -2) berichtet das öffentliche Fernsehen mittlerweile unverhohlen parteilich. Unabhängige Medien werden mit Werbeentzug und juristischen Schikanen gegängelt. Nach jahrelangen Ankündigungen brachte die Regierung ihr Projekt der „Repolonisierung“ der Medien einen großen Schritt voran: Mit dem Verlag Polska Press kam ein Großteil der Regionalpresse in den Besitz eines staatlich kontrollierten Ölkonzerns.
Auch der kommende EU-Ratspräsident Slowenien (36, -4) eifert unter seiner neuen Regierung dem Vorgehen Ungarns nach. Ministerpräsident Janez Janša verunglimpft sogar über offizielle Kanäle kritische Journalisten und vor allem Journalistinnen und nutzt die Medien seiner Partei, um die Themen für Schmutz- und Hetzkampagnen zu setzen. Die öffentlich-rechtlichen Medien will er finanziell austrocknen und über Neubesetzungen in den Aufsichtsgremien unter Kontrolle bringen.
In Serbien (93, +/-0), Montenegro (104, +1) und Albanien (83, +1) nutzen regierungsnahe Medien, Justiz oder Regierung Drogenvorwürfe, um investigativ arbeitende Journalisten und Journalistinnen auszuschalten oder kritische Sender unter Kontrolle zu bringen. In Serbien wie auch im Kosovo (78, -8) wurden Medienschaffende wegen ihrer Corona-Berichterstattung festgenommen. Bulgarien (112, -1) bleibt das am schlechtesten platzierte EU-Land. Dort verweigert die Regierung einen ernsthaften Dialog über Schritte zur Stärkung der Pressefreiheit, und die Behörden reagieren allenfalls sehr zögerlich auf Gewalt und Drohungen gegen Medienschaffende.
Osteuropa und Zentralasien
In Belarus (158, -5) versuchte das Regime von Alexander Lukaschenko nach der umstrittenen Präsidentenwahl vom 9. August mit brutaler Gewalt und massiven Repressionen, unabhängige Berichte über die Situation im Land zu unterdrücken. Bis Jahresende wurden mehr als 400 Medienschaffende festgenommen, einige berichteten von schweren Misshandlungen im Gefängnis. Die Regierung sperrte den Zugang zu Dutzenden unabhängiger Nachrichtenseiten und entzog im Oktober sämtlichen Korrespondentinnen und Korrespondenten aus dem Ausland ihre Akkreditierungen. Immer häufiger werden unabhängige Journalistinnen und Journalisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, zudem gehen die Behörden gezielt gegen Menschenrechtsorganisationen wie die unabhängige Belarusische Journalistenvereinigung (BAJ) vor.
In Russland (150, -1) verabschiedete das Parlament 2020 eine Vielzahl von Gesetzen, die die Pressefreiheit weiter einschränken und Online-Überwachung verstärken. RSF zählt die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor inzwischen zu den größten Feinden des Internets weltweit. Im Oktober beging die unabhängige Verlegerin Irina Slawina in Nischni Nowgorod aus Protest gegen fortwährende staatliche Schikanen Suizid.
In Zentralasien zeichnet sich Kirgistan (79, +3) durch eine in der Region beispiellose Medienvielfalt aus, wobei sich die Polarisierung der Gesellschaft deutlich in der Medienlandschaft spiegelt. Besonders investigative Journalistinnen und Journalisten stehen dort unter Druck. Während der Unruhen nach der Parlamentswahl im Oktober 2020 und dem Rücktritt von Präsident Sooronbai Scheenbekow wurden mehrfach Reporterinnen und Reporter angegriffen.
Asien-Pazifik
Der besorgniserregende Abstieg Malaysias auf der Rangliste steht in direktem Zusammenhang mit der Bildung einer neuen Koalitionsregierung im März 2020. Eine vor wenigen Wochen verabschiedete „Anti-Fake-News“-Notverordnung verbietet jegliche unliebsame Berichterstattung über die Corona-Pandemie und ermöglicht es den Behörden, ihre eigene Version der Wahrheit durchzusetzen.
China (177, +/-0) steht unverändert auf einem der schlechtesten Plätze der Rangliste. Mit einer Armee von Zensoren und dem Einsatz neuer Technologien kontrolliert das Regime rigoros die Verbreitung von Nachrichten und Informationen. Mehr als 100 Medienschaffende sitzen dort wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt. In einem beispiellosen Schlag gegen die Pressefreiheit in Hongkong (80, +/-0) hat das chinesische Regime ein sogenanntes Sicherheitsgesetz verabschiedet, das es Peking erlaubt, direkt in die Sonderverwaltungszone einzugreifen. In Vietnam (175, +/-0) kam es im Vorfeld des alle fünf Jahre stattfindenden Kongresses der Kommunistischen Partei Anfang 2021 zu einer Verhaftungswelle gegen führende unabhängige Journalistinnen und Journalisten. Unter ihnen ist Pham Doan Trang, die RSF 2019 mit dem Press Freedom Award ausgezeichnet hat.
In Myanmar (140, -1) nutzte die Zivilregierung von Aung San Suu Kyi den Vorwand, vermeintliche „Fake News“ während der Pandemie zu bekämpfen, um im April 2020 über 200 Webseiten zu sperren, darunter führende Nachrichtenseiten. Die ständigen Schikanen des Militärs gegen Journalistinnen und Journalisten, die versuchen, über die verschiedenen ethnischen Konflikte zu berichten, trugen ebenfalls zur Verschlechterung bei. Nach dem Militärputsch Anfang Februar 2021 wurde die Pressefreiheit im Land um zehn Jahre zurückgeworfen. Weil die Befragung vor dem Putsch stattfand, konnten die jüngsten Entwicklungen noch nicht berücksichtigt werden.
Naher Osten und Nordafrika
Im Nahen und Mittleren Osten reagierten vielen Regierungen auf die Corona-Krise, indem sie ihre ohnehin repressive Medienpolitik noch verschärften. Saudi-Arabien (170, +/- 0) bestätigte auch in der Corona-Krise seinen Platz als einer der Staaten, die die Pressefreiheit am stärksten unterdrücken. Das Königreich versucht weiterhin, die politischen Hintergründe des Mordes an dem Exil-Journalisten Jamal Khashoggi zu vertuschen. Ungeachtet der Pandemie hielt seine Justiz mehr als 30 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit in seinen Gefängnissen fest, viele von ihnen ohne Urteil.
In Ägypten (166, +/-0) folgt eine Verhaftungswelle auf die andere. Manche Journalistinnen und Journalisten verschwinden tage- oder wochenlang, bevor sie wegen Vorwürfen wie Verbreitung vermeintlicher Falschmeldungen vor Gericht gestellt werden. Andere werden in Massenprozessen abgeurteilt oder jahrelang ohne Prozess festgehalten. In der Corona-Krise verbot die Regierung kurzerhand die Veröffentlichung anderer als der amtlichen Infektionszahlen. Auf dem Höhepunkt der Pandemie sperrten die Behörden mehr als 30 Webseiten.
Syrien (173, +1) verhängte zu Beginn der Pandemie eine Nachrichtensperre; nur die staatliche, von Geheimdienst und Präsidentenpalast kontrollierte Nachrichtenagentur durfte über die Entwicklungen berichten. Noch Wochen, nachdem Covid-19 längst in benachbarten Ländern wütete, bestritten die Behörden, dass es in Syrien überhaupt Corona-Fälle gebe. Das Nachbarland Libanon (107, -5) verliert allmählich seinen Ruf als Oase der Pressefreiheit in der Region. Über Korruption zu berichten, wird dort zunehmend gefährlich. Wiederholt wurden Reporterinnen und Reporter bei Protesten angegriffen, sowohl von Demonstrierenden als auch von der Polizei.
Der Iran (174, -1) bestätigte mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit. In der Corona-Pandemie spielte die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärfte die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhörte, verhaftete und verurteilte Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung.
In Algerien (146, +/-0) und Marokko (136, -3) wird die Justiz eingesetzt, um kritische Journalistinnen und Journalisten zum Schweigen zu bringen. RSF-Algerien-Korrespondent Khaled Drareni verbrachte wegen seiner Berichte über eine Protestbewegung elf Monate im Gefängnis.
Nord-, Mittel- und Südamerika
In den USA (44, +1) war das letzte Amtsjahr von Präsident Donald Trump geprägt von nie dagewesener Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten. Die Initiative Press Freedom Tracker, an der auch RSF beteiligt ist, hat rund 400 Übergriffe auf Medienschaffende, größtenteils seitens der Polizei, sowie rund 130 Festnahmen dokumentiert. Nach vier Jahren anhaltender Hetze gegen die Medien unter Trump waren Joe Bidens erste 100 Tage im Amt geprägt von einer Rückkehr von Regierung und Behörden zur Transparenz und vom Respekt für die unabdingbare Rolle von Medien in einer Demokratie.
Brasilien fällt um 4 Plätze auf Rang 111 und gehört damit nun zur Gruppe der Länder mit „schwieriger“ Lage, die auf der Weltkarte der Pressefreiheit rot markiert sind. Präsident Jair Bolsonaro, seine Söhne und seine engen politischen Vertrauten haben es zur Methode gemacht, unliebsame Journalistinnen und Journalisten zu beleidigen, zu diffamieren und zu demütigen. In der Corona-Krise, die Brasilien so hart getroffen hat wie kaum ein anderes weltweit, gab Bolsonaro den Medien die Schuld an der katastrophalen Lage im Land.
In El Salvador wurde die Berichterstattung über die Pandemie erheblich behindert: Behörden beschlagnahmten journalistisches Material und verweigerten Medienschaffenden den Zugang zu öffentlichen Plätzen sowie zu staatlichen Informationen. Der Beraterstab des Präsidenten weigerte sich, Fragen zur Pandemie zu beantworten, Interviews mit Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern zum Thema wurden untersagt. Ähnliche Strategien verfolgten Guatemala (116, +/-0), wo Präsident Alejandro Giammattei sagte, er wolle „die Medien unter Quarantäne stellen“, und Ecuador (96, +2), wo mehrere Medienschaffende an Covid-19 starben, nachdem sie sich mutmaßlich bei der Arbeit angesteckt hatten. Die Berichterstattung über die Pandemie wurde besonders erschwert durch die Haltung einiger autoritärer Staatschefs, das Ausmaß schlichtweg zu leugnen, darunter Daniel Ortega in Nicaragua (121, -4), Juan Orlando Hernández in Honduras (151, -3) und Nicolás Maduro in Venezuela (148, -1).
Afrika südlich der Sahara
Länder, die sich in der Rangliste der Pressefreiheit 2021 deutlich verbessert haben, liegen vor allem in Subsahara-Afrika. In Burundi (147, +13) hat die Wahl eines neuen Präsidenten im Mai 2020 die Aussichten für unabhängigen Journalismus leicht verbessert. Als ein positives Zeichen gilt die Freilassung von vier Mitarbeitenden des unabhängigen Senders Iwacu im Dezember 2020, die mehr als ein Jahr lang willkürlich inhaftiert waren. Die Seychellen (52, +11) gewähren den Medien zunehmende Freiheiten, wodurch Fälle von Selbstzensur deutlich weniger wurden. Die Staatsführung hält regelmäßige Pressekonferenzen ab; alle Medienvertreter und -vertreterinnen sind zur Teilnahme zugelassen. In Sierra Leone (75, +10) wurde im August 2020 ein 55 Jahre altes Gesetz abgeschafft, das Verleumdung und Pressevergehen unter Strafe stellte und willkürlichen Verhaftungen von Medienschaffenden Vorschub leistete.
Nichtsdestotrotz bleibt Afrika der gefährlichste Kontinent für Medienschaffende. In vielen Ländern diente die Corona-Pandemie als Vorwand, kritische Stimmen noch weiter zu unterdrücken. Der im März verstorbene tansanische Präsident John Magufuli etwa nannte das Virus „eine westliche Verschwörung“ und verhängte ein vollständiges Berichtsverbot. Tansania verharrt auf Platz 124. Die Zahl der Verhaftungen und Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten hat sich in Subsahara-Afrika allein zwischen dem 15. März und dem 15. Mai 2020 verdreifacht. Neu erlassene Gesetze gegen die angebliche Verbreitung von Falschnachrichten legten den Grundstein für Festnahmen und Berichtsverbote. Vielen Medienschaffenden wurde der Zugang zu Informationen erschwert oder unmöglich gemacht.
In Simbabwe (130, -4) wurde der Investigativjournalist Hopewell Chin’ono wochenlang inhaftiert, weil er über überteuerte Medikamentenbestellungen berichtet hatte. Auf den Komoren (84, -9)
drohte die Regierung der Journalistin Andjouza Abouheir mit Strafverfolgung. Sie hatte enthüllt, dass es auf den Komoren nur deshalb keinen Corona-Fall gab, weil Verdachtsproben nicht zur Analyse geschickt wurden. In der Demokratischen Republik Kongo (149, +1) brach sich ein Journalist ein Bein, nachdem ihn die Polizei bei einem Bericht über den Lockdown gewaltsam an der Arbeit gehindert hatte.
Auch Demonstrationen im Umfeld von Wahlen und soziale Unruhen haben das Leben von Medienschaffenden gefährdet. In Uganda (125, +/-0) häuften sich die Übergriffe während der Berichterstattung über die Wiederwahl von Präsident Yoweri Museveni. In Nigeria (120, -5) wurden seit 2019 drei Journalisten getötet, während sie über Demonstrationen berichteten. Keines der Verbrechen wurde strafrechtlich verfolgt.