Covid-19-Leugner schwirren Dank »höherer Dummheit« (Robert Musil) in der »philosophischen Wespenfalle« (Paul Watzlawick) der Nichtimpfens.
Einen Glauben oder eine Ideologie zu verteidigen ist weniger aufwändig als diesen abzulegen. Wer einen „Glauben“ verlässt betritt ideologisches Neuland. Mit der intellektuellen Überwindung einer Philosophie, eines Glaubens eines Idols oder Vorbildes betritt man quasi Neuland. Es können damit sehr grundlegende Umstellungen verbunden sein. Das ist einer der Gründe warum Gurus, Scharlatane und Wunderheiler von ihren heilsgläubigen Anhängern verteidigt über alles verteidigt werden.
Covid-19 zu ignorieren, ist persönlich bequemer als sein Verhalten und seine Ansichten zu ändern. Wer Covid-19 als lebensgefährliche Erkrankung sieht, muss dementsprechend auch sein Verhalten im täglichen Leben ändern. Je nach Beruf. Bildung und Intellekt gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, sich die Wirklichkeit in gewünschten Sinn zurechtzulegen. Lieb gewordene Gewohnheiten, Gestaltung von Freizeit und Urlaub müssen teils grundlegend umgestaltet werden. Dazu kommen noch Einschränkungen der persönlichen Freiheit und finanzielle Verluste. Der Lockdown verändert alles und ist keine willkommene Abwechslung. Glaubwürdiger ist, wer Covid-19 im Widerspruch zur Faktenlage für harmlos erklärt bzw. leugnet. Für unschuldige Opfer sind buchstäblich alle Argumente glaubwürdiger, die das untermauern zu scheinen.
Die Existenz von Coronaviren, die Infektionswege und -möglichkeiten sind aber Fakten, die nicht mehr zu ignorieren sind. Auch ist Fakt, dass man symptomfrei an Covid19 erkranken und trotzdem infektiös sein kann. Man ist bereits infektiös, bevor Krankheitsanzeichen verspürt werden. Man fühlt sich also gesund und ist trotzdem höchst infektiös und daher für seine Mitmenschen mitunter auch lebensgefährlich. Viele Mitmenschen, von Akademikern bis Handwerksassistenten und auch solche, die es eigentlich von Ausbildung und Beruf wissen müssten, schwindeln sich mit einer Fülle von scheinbar logischen und selektiv ausgewählten Argumenten an dieser Tatsache vorbei und wissen es besser.
Für Paul Watzlawick können Ideologien auch den Charakter von Denkfallen bzw. Gedankenkäfigen haben. Er prägte dafür den Begriff der „philosophischen Wespenfalle“. Wer in so eine philosophische Wespenfalle hineinfliegt, schwirrt im Kreis seiner Argumente umher und findet nicht mehr heraus.
Robert Musil beschrieb das Phänomen der „höheren Dummheit“. Er unterschied zwischen der gewöhnlichen Dummheit, die sich z.B. in ungenügender Fähigkeit zum Abstrahieren äußert und einer „höheren Dummheit". Letztere manifestierte sich durch ein gewisses Übermaß an Intelligenz, Bildung und Denkleistungsvermögen in Kombination mit einem aus dem Normbereich verrückten „Gemüt“. Es können und werden nun alle Ideen, Wunschvorstellungen, Ideologien und Dogmen, die einem verrückten „Gemüt“, so Musil, entspringen bzw. zusagen, verteidigt und propagiert. Hochgebildete und zu jeder Denkleistung äußerst befähigte Menschen ersinnen dann pausenlos Argumente für widersinnigste Ansichten. Und obwohl Unsinnigkeiten nur zu offenkundig sind, ist der geistige und zeitliche Aufwand für die Widerlegung besonders aufwändig. Zeitgenossen mit „höherer Dummheit“ sind keineswegs lebensuntüchtig sondern erfolgreich, und daher lt. Musil eine echte Gefahr.
Rezente Beispiele für Anhänger abstruser „Theorien“ gibt es viele. Homöopathen, Anhänger diverser alternativer Therapien, Staatsleugner, Vertreter der Theorie von der flachen Erde und Menschen, die unerschütterlich an die Erschaffung der Welt in sechs Tagen glauben usw. Jetzt sind die Leugner der Covid-19-Erkrankung im Kommen. Es ist unglaublich, mit welchen spitzfindigen, scheinbar logischen und naturwissenschaftlichen Argumenten Covid-19 entgegen allen gesicherten Tatsachen verharmlost und z.B. das Abstandhalten und Maskentragen als unnotwendige Schikane einer unfähigen Regierung dargestellt wird. Das ist letztlich Populismus pur. Die Verschwörungstheoretiker haben ein ganzes Arsenal an Argumenten für absurdeste Überzeugungen parat. Ob Mondlandung, 9/11, Klimakatastrophe, Störgeräusch im Hörgerät oder PC-Absturz ist egal. Bill Gates, die jüdische Weltverschwörung, Jeff Bezos, Bilderberger usw. sind einige der allmächtigen Schuldigen. Nichts ist einfacher als die Weltherrschaft mit profitablen Lügen. Je simpler die alles erklärenden Wahrheiten gestrickt sind, umso glaubwürdiger sind diese. Für die Gilde der oberschlauen Besserwisser ist Covid- 19 eindeutig nichts anderes als Geldmacherei und eine Aktion zur Errichtung einer Diktatur.
Wenn man das fehlende bzw. unzureichende medizinische und naturwissenschaftliche Wissen breiter Bevölkerungskreise mit den Argumenten von Covid-19-Leugnern vergleicht, sind erstere geradezu Unschuldslämmchen. Nach der Argumentation so mancher Juristen gegen Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 – so der Eindruck – hätte jede Person das Recht, sich selbst und andere jederzeit zu infizieren. Dieses „Infizierrecht“ wäre durch die Pflicht eine Maske zu tragen und andere gesetzliche Ge- und Verbote wie Abstandhalten, Vorzeigen eines Impfpasses, Besuchsverbote von Veranstaltungen etc. juristisch nicht zu vertreten. Alle gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen, um die Pandemie einzudämmen, wären quasi nur unzumutbare Einschränkungen der per Verfassung garantierten persönlichen Freiheiten.
Wer bezahlt die Bestattungs- und Behandlungskosten? Die Leugner und Verharmloser werden keinen eigenen Kostenbeitrag leisten. Die Rechnung wird jeden Tag größer und wir alle werden, in welcher Form auch immer, bezahlen. Wenn das keine merkwürdige Gesundheitsverantwortung ist, was kommt dann als Nächstes? Oder gibt es vielleicht Mitmenschen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als endlich an Covid-19 zu erkranken?
Wieso neigen manche Juristen dazu, mit juristischen Spitzfindigkeiten an und für sich vernünftige Maßnahmen gegen Covid19 zu torpedieren. Kann das wirklich mit der Sorge um unsere Grundrechte begründet werden? Wird dabei nicht übersehen, dass in Wirklichkeit das einzige und wahre Grundrecht - nämlich mein und unser Recht auf Leben und Unversehrtheit - aufs Spiel gesetzt wird? Oder ist das Motiv hinter solchen Querschüssen eher eine Art von juristischer Selbstbefriedigung? Seinerzeit haben Impfgegner argumentiert, dass man dem lieben Gott nicht ins Handwerk pfuschen darf. Taliban und ähnliche Gottesfürchterlinge berufen sich heute noch auf den Willen von Allah. Hunderte Impfhelfer/Innen wurden exekutiert. Wird nun bei uns die unerforschliche Allmacht Gottes durch unbegrenzte demokratische Persönlichkeitsrechte ersetzt?
Seit man gesichert weiß, dass es ansteckende Erkrankungen und Krankheitserreger gibt und wie Infektionen ablaufen, ist es höchst unmoralisch und unsolidarisch seine Mitmenschen durch bewusstes nachlässiges Verhalten und unter Umgehung von Ge- und Verboten zu infizieren. Wer aus Gründen einer Einschränkung seiner „Persönlichkeitsrechte“ sich weigert eine Maske zu tragen nimmt bewusst in Kauf, seine Mitmenschen infizieren zu können. Das ist unsolidarisch und moralisch nicht zu rechtfertigen. Haben die medizinischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, dass man so und nicht anders seine Mitmenschen lebensgefährlich infizieren kann, keinerlei Bedeutung? Welche Freiheit soll das sein, sich um jeden Preis unmoralisch und unsolidarisch zu verhalten? Soll man annehmen, dass sich Impfgegner und Coronaleugner im Spital ausschließlich von ungeimpften und ungeprüften Krankenpflegepersonal und Ärzten behandeln lassen wollen?
Infektionen sind nie hundertprozentig zu vermeiden, aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob die Ansteckungsrate dieser mitunter sehr schweren und auch tödlichen Erkrankung gering gehalten wird oder nicht. Auch wenn immer wieder neue Fragen und neuere Erkenntnisse auftauchen, so handelt es sich nicht um wilde Spekulationen mit vielen Fragezeichen. Fazit ist: Es liegt am rücksichtsvollen Verhalten jedes einzelnen Menschen, ob weitere Menschen infiziert werden oder nicht, damit die Pandemie beendet werden kann. Daran geht kein Weg vorbei.
Die Impfung wird die Ansteckungsraten sicher deutlich senken und die Hoffnung ist berechtigt, dass die Pandemie endet. Das funktioniert aber nur, wenn sich entsprechend viele Menschen impfen lassen. Die Bereitschaft dazu ist in bestimmten Kreisen nicht gegeben. Was soll man vermuten, wenn man geflissentlich übersieht, dass Impfungen nicht nur die Geimpften selbst sondern auch die Mitmenschen vor schwerer Krankheit und Tod bewahrt? Man will zwar nicht angesteckt werden, ist aber selbst nicht bereit sich durch Impfen solidarisch zu verhalten und stellt sich gegen eine allgemeine Impfpflicht, obwohl die Risiken einer Impfung und einer Erkrankung nicht vergleichbar sind. Ein Blick auf die zahlreichen schweren Erkrankungsfälle und Toten sollte genügen, um einzusehen, dass Solidarität und Moral mehr denn je gefragt sind. Die Wahrscheinlichkeit, an Corona zu sterben bzw. an den Folgen und Spätfolgen zu leiden, ist einfach unvergleichbar höher als durch Impfung einen Schaden zu erleiden. Das vorhandene gesicherte, naturwissenschaftliche und medizinische Wissen zu ignorieren und sich nicht an die empfohlenen Vorbeugemaßnahmen zum eigenen und dem Schutz der Mitmenschen zu halten, ist höchst unsolidarisch und unmoralisch.
Dr. E. Berndt