Bielefeld (fhb). Von der Mülltonne vor der Tür über die Plastikflasche im Kühlschrank bis hin zur aufwendig geformten Brüstung im Auto – eine Vielzahl von Produkten, die uns heute täglich begegnen, werden mithilfe von sogenannten Spritzgießverfahren hergestellt. »Dabei handelt es sich leider um einen energetisch ineffektiven Prozess«, so Prof. Dr. Christoph Jaroschek von Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Der Professor für Kunststoffverarbeitung und sein Team haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, nach Möglichkeiten zu suchen, den Stromverbrauch von Spritzgießverfahren zu senken. Mit Erfolg: Das zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts »CeraHeaP – Strukturintegrierte Heatpipes in Werkzeugelementen mit thermischer Trennung aus Keramik«.
Werkzeugtemperierung ist der größte »Energiefresser«
Doch der Reihe nach: Beim Spritzgießverfahren wird flüssiger Kunststoff mit einer Temperatur von zirka 250 Grad in eine Form, ein sogenanntes Werkzeug, gepresst. Damit der Kunststoff lange genug flüssig bleibt und die Form tatsächlich komplett ausfüllt, muss auch das Werkzeug aufgeheizt werden, und zwar je nach Kunststoffsorte auf bis zu 150 Grad. Zu diesem Zweck erhitzen Temperiergeräte permanent Wasser, das dann unter Hochdruck in einem System von Kanälen durch das Werkzeug geleitet wird.
Insbesondere bei der Herstellung von technischen Kunststoffen muss den Werkzeugen über die Temperierkanäle ständig Energie zugeführt werden: »Die Temperiergeräte verbrauchen 30 bis 40 Prozent des gesamten Energiebedarfs einer Spritzgießmaschine für technischen Kunststoff«, weiß Prof. Jaroschek. Das ist allerhand angesichts der großen Menge an technischem Kunststoff, von dem allein in Deutschland über drei Millionen Tonnen pro Jahr produziert werden.
Nachhaltige Kohlendioxyd-Senkung möglich
nterm Strich verbrauchen nur diese Temperiergeräte hierzulande etwa sechs Terawattstunden Strom. »Das entspricht in etwa dem jährlichen Energieverbrauch der Bevölkerung Hamburgs und ist mit Kosten von 1,1 Milliarden Euro nicht nur teuer, sondern auch umweltschädlich“, stellt Jaroschek fest. Denn: sechs Terawattstunden verbrauchte Energie produziert in etwa 2,4 Millionen Tonnen des schädlichen Klimagases Kohlendioxyd. »Die Optimierung der Temperierung ist deswegen einer der vielversprechendsten Stellhebel, um den Energieverbrauch der Spritzgießfertigung insgesamt zu senken«, resümiert Jaroschek. Der Professor und sein Team wollten nun untersuchen, ob die aus der Kühlung von PCs bekannte Heatpipe-Technologie nicht auch für Spritzgießverfahren eingesetzt werden könnte.
So funktionieren herkömmliche Heatpipes
Herkömmliche Heatpipes sind Kupferröhren von drei bis zehn Millimeter Durchmesser und einer Länge von wenigen Zentimetern bis mehreren Metern. Die meisten Heatpipes allerdings sind nicht länger als ein Bleistift und kommen bei der Kühlung von Computern als Ergänzung zum Gebläse zum Einsatz. In der Regel sind Heatpipes mit Wasser befüllt und hermetisch abgeschlossen. Im Inneren sorgt ein Unterdruck dafür, dass das Wasser schon bei Temperaturen ab zirka 20 Grad verdampft. Der Dampf verteilt die Wärme in der gesamten Röhre, und zwar sehr viel schneller als ein massiver Kupferstab es tun würde. So erreichen Heatpipes auf sehr effektive Weise ihren Temperierungseffekt – und sie können sowohl zum Kühlen eingesetzt werden, weil sie Wärme entziehen, als auch zum Erhitzen, weil sie Wärme von A nach B transportieren.
Tests auf dem Prüfstand mit bahnbrechenden Ergebnissen
Fürs Spritzgießverfahren ist insbesondere die Fähigkeit der Heatpipes zur Wärmeübertragung von Interesse. Bei Tests des FH-Forschungsteams kam jedoch heraus, dass Aufbau, Leistungsfähigkeit und Qualität der heute auf dem Markt verfügbaren Heatpipes sehr verschieden sind und sich für die Erhitzung von Spritzgießwerkzeugen nicht eignen. »Simulationen für eine allgemeingültige Berechnung der Leistungsfähigkeit von Heatpipes waren nicht möglich«, berichtet Vincent Hüttemann, wissenschaftlicher FH-Mitarbeiter, der das Projekt »CeraHeaP« unterstützt.
Um mehr zu erfahren über genaue Arbeitsweise und Optimierungschancen von Heatpipes bauten die Forschenden deshalb einen eigenen Prüfstand mit zwei durch eine Röhre verbundenen Metallklötzen: »Der eine wird erhitzt, der andere abgekühlt«, berichtet Stephan Kartelmeyer, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt. »Wir haben dann gemessen, wie schnell die Wärme von der einen Seite durch unsere Röhre zur anderen wandert, und konnten so berechnen, wie viel Wärme abgeleitet wird.«
Auf die exakte Flüssigkeitsmenge kommt es an
Und genau das war der springende Punkt: Jaroschek und Kartelmeyer konnten nun ein System entwickeln, das die mit Unterdruck in die Röhre eingebrachte Flüssigkeitsmenge ganz genau bestimmt. Auf diese Weise nämlich lässt sich eine Heatpipe erstmals so auslegen, dass die exakt benötigte Wärmemenge transportiert wird – Schwund wird vermieden, auf die energiefressenden Temperiergeräte kann komplett verzichtet werden.
Kompletter Verzicht auf Temperiergeräte möglich
»Durch den Wegfall der Temperiergeräte kann der Energieaufwand der Spritzgießfertigung um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden«, schätzt Prof. Jaroschek. »Wenn man sich vor Augen führt, dass die Energie, die zur Produktion von technischem Kunststoff in Deutschland jährlich aufgewendet werden muss, 250.000 Flügen zwischen Düsseldorf und München entspricht, dann sind gut ein Drittel potenzielle Einsparung durch den Einsatz einer neuen Technologie ein ganz erheblicher Wert!«
Hohlstrukturen im Werkzeug lösen herkömmliche Heatpipes ab
Damit nicht genug: Die von den FH-Forschenden entwickelte Heatpipe-Technologie kann nicht nur Energie sparen und damit die Kohlendioxyd-Bilanz verbessern. Sie ist auch wesentlich einfacher konstruiert als herkömmliche Heatpipes: »Spritzgießwerkzeuge sind sehr komplex aufgebaut. Da wir zukünftig den Kern des Werkzeugs selber als Heatpipe konstruieren, können wir noch gezielter temperieren«, berichtet Stephan Kartelmeyer. Das wird erreicht, indem eine Seite des Werkzeugkerns aus Metall, die andere aber aus thermisch nicht leitendem Keramik gefertigt wird, sodass das sich der Effekt der Wärmeübertragung effizient einstellt.
Ein weiterer Vorteil ist die bedarfsgerechte Einbringung der Netzstrukturen: »Auch dadurch haben wir immense Leistungssteigerungen in unseren Versuchen im Labor feststellen können«, so Kartelmeyer. Ãœberdies kann auf die Kupferröhren verzichtet werden: »Wir können im Werkzeug selbst ein Loch bohren und mithilfe von Vakuum und Flüssigkeit die Temperierung fest und dauerhaft verankern. Daher sprechen wir mittlerweile eigentlich nicht mehr von Heatpipes, sondern schlicht von Hohlstrukturen«, erläutert Professor Jaroschek. Und weil diese Hohlstrukturen direkt in die Spritzgießwerkzeuge integriert werden, spart man auch noch zehn Prozent der Energiekosten bei der Werkzeugfertigung.
Schneller produzieren dank schlauerer Technologie
Damit nicht genug: »Auch die Rüstzeit für die Einrichtung eines neuen Werkzeugs sowie die Wartungszeiten verkürzen sich, weil die Leitungen fest integriert sind«, ergänzt Kartelmeyer. »Als geschlossenes System kann das Werkzeug nicht mehr verschmutzen, und auch Fehler durch falsch gesetzte Anschlüsse gehören der Vergangenheit an.« Insgesamt lassen sich kürzere Zykluszeiten beim Spritzgießen erreichen, wodurch eine schnellere Produktion ermöglicht wird – ein weiteres Plus an Wirtschaftlichkeit, das die neue Technologie mit sich bringt.
Weitere Einsatzmöglichkeiten der neuen Hohlstrukturen denkbar
Das Forschungsteam hofft nun, die schlau eingesetzten Hohlstrukturen können Kosten und Energie nicht nur beim Spritzgießverfahren senken: »In vielen Industriebereichen bedarf es der Wärmeableitung«, weiß Jaroschek. So wäre es beispielsweise einen Versuch wert, über die neuartige Technologie Serverräume kontrolliert zu kühlen und angrenzende Räume im Gegenzug mit der Wärme zu versorgen. Jaroschek: »Außerdem ist ein Einsatz im Batterierahmen von Elektrofahrzeugen aus meiner Sicht denkbar – die Wärme kann hier je nach Außentemperatur für die Heizung genutzt oder abgeführt werden.«
Jetzt ist die Industrie am Zug: Sie kann die Ergebnisse, die im wichtigsten Leitmedium der Branche, der Zeitschrift Kunststoffe, unter dem Titel »Kühlen mit dem Wärmerohr« im März dieses Jahres erschienen sind, zur Verbesserung von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit nutzen.