Münster (lwl). Vom Stummfilmklassiker »Der Golem, wie er die Welt sah« aus dem Jahr 1920 bis zu einer aktuellen Dokumentation über die Jüdische Gemeinde Münster: Die Filmreihe »Drehbuch Geschichte 2021«, die im »Cinema« sowie im Freilichtmuseum Mühlenhof (beide in Münster) stattfindet, spannt einen weiten Bogen und bündelt in neun Filmforen ein Jahrhundert filmischer Auseinandersetzung mit dem Thema Judentum in Deutschland. Unter dem Titel »Auf das Leben!« nimmt sie das bundesweite Festjahr »2021 Jüdisches Leben in Deutschland« zum Anlass, Einblicke in jüdische Vergangenheit und Gegenwart zu vermitteln.
Veranstalter sind neben dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster und dem Verein »Die Linse« auch der Geschichtsort Villa ten Hompel, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Verein »Gegen Vergessen – für Demokratie«. Die Filmreihe ist eines von 24 Projekten, die von der LWL-Kulturstiftung im Rahmen des Festjahres gefördert werden.
Die Reihe zeigt vom 28. Juni bis zum 23. August 2021 in Münster neun Filme, die jüdisches Leben in Deutschland vor und vor allem nach 1945 schildern. Das oft auch spannungsgeladene Verhältnis von Juden und Nicht-Juden steht genauso im Fokus wie die Chancen kulturellen Zusammenlebens.
Filmisch führt »Drehbuch Geschichte 2021« die Filmgattungen Spiel- und Dokumentarfilm und damit unterschiedliche Herangehensweisen zusammen. Neben fünf Spielfilmen, darunter »Alles auf Zucker« und »Comedian Harmonists«, zeigen die Veranstalter vier aktuelle Dokumentarfilme, die jüdisches Leben und jüdische Kultur aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Alle Filme eröffnen biografische Zugänge und knüpfen an die Alltagserfahrungen von Juden in Deutschland an. Sie beschäftigen sich mit kulturellen, religiösen, sozialen und familiengeschichtlichen Aspekten jüdischer Gemeinschaften in Deutschland, aber auch mit dem Leben in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft sowie Formen jüdischer Selbstdefinition. Das Thema Antisemitismus ist präsent, weil es Teil der Alltagserfahrung jüdischer Menschen in Deutschland ist. Es steht aber in dieser Reihe – wie der Holocaust – bewusst nicht im Mittelpunkt.
Die Filmreihe beginnt in der Gegenwart und bewegt sich dann wie in einer archäologischen Ausgrabung immer weiter zurück in die Vergangenheit. Die Reihe startet mit der Premiere des Films »Jüdisch leben heute. Aus dem Gemeindeleben in Münster«, den das FilmLAB der Universität Münster im Auftrag der Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO) produziert hat am 28. Juni 2021 als geschlossene Veranstaltung, am 11. Juli 2021 wird der Film im »Cinema« um 11 Uhr erstmals öffentlich gezeigt. Einen besonderen Höhepunkt zum Abschluss bildet am 23. August 2021 um 20.30 Uhr die Präsentation des expressionistischen Stummfilms »Der Golem, wie er in die Welt kam«. Die Geschichte des im Prag des 16. Jahrhunderts aus Lehm geschaffenen Kunstwesens wird im Freilichtmuseum Mühlenhof als audiovisuelle Installation mit musikalischer Untermalung gezeigt. Alle anderen Foren finden unter Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsbestimmungen im großen Saal des Cinema an der Warendorfer Straße statt.
Zur Einführung in die Filmabende konnten neben Fachleuten aus den beteiligten Institutionen auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde und der jüdischen Hochschulgruppe Münsters sowie mehrere Filmschaffende gewonnen werden. Im Anschluss an die Vorführungen besteht Gelegenheit zu Gesprächen und Diskussionen.
Die Veranstalter bitten aufgrund der aktuellen Corona-Lage, sich vorab unter http://www.cinema-muenster.de über die aktuellen Maßnahmen für die Veranstaltungen zu informieren.
Veranstaltungsorte (beide in Münster)
Cinema, Warendorfer Straße 45
Eintritt: 8,50 Euro, ermäßigt sieben Euro
Karten unter www.cinema-muenster.de oder unter Telefon (0251) 30300
23. August 2021, Freilichtmuseum Mühlenhof, Theo-Breider-Weg 1
Eintritt: 12,50 Euro, ermäßigt elf Euro
Karten unter www.localticketing.de
Montag, 28. Juni 2021, 18:30 Uhr, Cinema (geschlossene Veranstaltung – nur mit besonderer Einladung), weiterer Termin am Sonntag, 11. Juli 2021, 11 Uhr, Cinema, »Jüdisch leben heute. Aus dem Gemeindeleben in Münster« (2021)
Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Münster, berichtet von ihrer Entwicklung nach 1945 und gewährt einen Einblick in den heutigen Alltag. Im Rahmen der Veranstaltung wird den Filmschaffenden der Dr. Julius Voos-Preises der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster verliehen.
Montag,5. Juli2021, 18.30 Uhr, Cinema, »Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut« (2015)
Der zwölfjährige Simon fühlt sich in seiner chaotischen jüdischen Familie eingequetscht zwischen zwei Welten. Wenn es nach seinem Vater Frank geht, soll Simon anlässlich seiner Bar Mitzwa seine Vorhaut opfern. Als er in der 32-jährigen Rabbinerin die Liebe seines Lebens zu erkennen glaubt, geraten die Dinge außer Kontrolle. Die Einführung in den Film übernimmt Julian Deterding von der Jüdischen Hochschulgruppe Hillel Hub Münster.
Montag, 12. Juli 2021, 18.30 Uhr, Cinema, »Kaddisch für einen Freund« (2011)
Dem 14-jährigen Ali wurde von klein auf beigebracht, Juden zu hassen. Nach der Flucht lebt er mit seiner Familie in Berlin und sucht Anerkennung bei seinen arabischen Altersgenossen. Um seinen Mut zu beweisen dringt er in die Wohnung seines jüdischen Nachbarn ein. Und wird prompt entdeckt...
Montag, 19. Juli 2021, 18.30 Uhr, Cinema, »Comedian Harmonists« (1997)
1927 gründet der Schauspielschüler Harry Frommermann in Berlin eine A-Capella-Truppe, deren Lieder Millionen begeistern. Der Erfolg lässt die Männer sorglos werden und so nehmen sie den Aufstieg der Nationalsozialisten nicht ernst - obwohl drei von ihnen Juden sind.
Montag, 26. Juli 2021, 18:30 Uhr, Cinema, »Regina Jonas – die erste Rabbinerin der Welt« (2013)
Regina Jonas ging als weltweit erste ordentlich ordinierte Rabbinerin in die Geschichte ein. Sie studierte ab 1924 an der liberalen »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« in Berlin und wurde 1935 zur Rabbinerin ordiniert. Ein Foto von Jonas nimmt die Filmemacherin Diana Groó zum Ausgangspunkt, um ihre Geschichte zu rekonstruieren.
Montag, 2. August 2021, 18.30 Uhr, Cinema, »Once we were Jews« (2019)
Generationen-Porträt der jüdischen Familie Steinitz aus Ost-Berlin. Klaus Steinitz war der SED bis zum Mauerfall loyal. Tochter Katrin hingegen trieb, als Mitglied der Bürgerbewegung »Neues Forum«, die friedliche Revolution voran und ihre beiden Söhne engagieren sich gegen Neonazis. Auf der Suche nach ihrer jüdischen Identität organisieren die Söhne ein Wiedersehen der Familie. Zum Nachgespräch des Films wird der Regisseur Frank Gutermuth erwartet.
Montag, 9. August2021, 18.30 Uhr, Cinema, »Alles auf Zucker!« (2004)
Es läuft nicht gut für den Ex-DDR-Sportreporter Jaecki Zucker. Finanziell steht der schlitzohrige Zocker vor dem Ruin und seine resolute Ehefrau droht damit, ihn zu verlassen. In dieser Situation kommt das Erbe von Jaeckis Mutter gerade recht. Doch um das Erbe zu erhalten, muss er sich mit seinem Bruder Samuel, einem orthodoxen Juden, versöhnen.
Montag, 16. August 2021, 18.30 Uhr, Cinema, »Moritz Daniel Oppenheim« (2018)
Die Dokumentation widmet sich Moritz Daniel Oppenheim (1800 bis 1882), dem »ersten jüdischen Maler des 19. Jahrhunderts«, der sich außerdem stark für den interkonfessionellen Dialog einsetzte. Mit der detailgetreuen Wiedergabe jüdischer Rituale in seiner Genremalerei etablierte er ein jüdisches Selbstbewusstsein in der Kunstgeschichte.
Montag, 23. August 2021, 20.30 Uhr, Freilichtmuseum Mühlenhof, »Der Golem, wie er in die Welt kam« (1920)
Im Prager Ghetto des 16. Jahrhunderts liest Rabbi Löw in den Sternen, dass der jüdischen Gemeinschaft Unheil droht. Er schafft eine mächtige Lehmfigur, den Golem, und haucht ihr mit magischen Kräften Leben ein. Der Klassiker des expressionistischen deutschen Stummfilms wird im Ambiente einer großen Scheune des Freilichtmuseums Mühlenhof im Sinne eines »expanded cinema« als audiovisuelle Installation mit musikalischer Untermalung gezeigt.