Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat Bundesernährungsministerin Julia Klöckner aufgefordert, sich bei der EU für ein konsequentes Vorgehen gegen das in Lebensmitteln verbotene Ethylenoxid stark zu machen. Die Bundesregierung dürfe keinesfalls akzeptieren, dass Lebensmittel verkauft werden, die mit einer krebserregenden Substanz kontaminiert sind. Frau Klöckner müsse sich dafür stark machen, dass solche Produkte »in der gesamten EU als nicht sicher und damit nicht für den menschlichen Verzehr geeignet eingestuft werden und bleiben«, schrieb Foodwatch in einem Brief an die Ministerin.
Nach vertraulichen Informationen von Foodwatch erwägt die Europäische Kommission in einer Sitzung am morgigen Dienstag eine EU-weite Verständigung mit den Mitgliedsstaaten herbeizuführen, wonach künftig bestimmte mit Ethylenoxid belastete Produkte auf dem Markt bleiben können. Dies soll Lebensmittel betreffen, bei denen Ethylenoxid in einzelnen Zutaten enthalten ist, im Endprodukt jedoch die Nachweisgrenze nicht überschritten wurde. Foodwatch bezeichnete die damit verbundene vermeidbare Gefährdung der Gesundheit von Verbraucher*innen als inakzeptabel. Ethylenoxid gelte als erbgutverändernd und krebserregend und sei laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bereits in geringsten Mengen in Lebensmitteln unerwünscht.
»Wenn die EU etlichen Herstellern einen Freifahrtschein erteilt, mit krebserregenden Substanzen verunreinigte Produkte zu importieren und in der EU zu vermarkten, gefährdet sie unnötig die Gesundheit von Millionen von Europäern. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner darf diesen Präzedenzfall nicht mittragen: Sie muss sich in Brüssel dafür einsetzen, dass alle Produkte und deren Zutaten nachweislich frei von Ethylenoxid sein müssen«, erklärte Rauna Bindewald von Foodwatch.
Am 9. September 2020 meldete Belgien über das europäische Schnellwarnsystem RASFF erhöhte Ethylenoxid-Belastungen in Sesamsamen aus Indien. In Frankreich wurden seitdem mehr als 1.800 Produkte zurückgerufen – neben sesamhaltigen Produkten auch Schalotten, Pfeffer, Kaffee und das in vielen verarbeiten Produkten enthaltene Guarkernmehl. Betroffen waren auch Zucker für Konfitüren und fast alle industriellen Eiscremes, die einen Zusatzstoff auf der Basis von verunreinigtem Johannisbrotmehl aus der Türkei enthalten. In anderen Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, gab es hingegen weniger Rückrufe. In Deutschland wurden gemäß Angaben des staatlichen Portals lebensmittelwarnung.de nur insgesamt 54 Produkte öffentlich zurückgerufen.
Das Gas Ethylenoxid ist laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) krebserregend und erbgutschädigend. Zwar überschreiten »bei einem mittleren Verzehr über längere Zeit weder Kinder noch Erwachsene die Aufnahmemenge geringer Besorgnis«. Jedoch seien Rückstände in Lebensmitteln grundsätzlich »unerwünscht«. Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gebe es nicht.
Während Ethylenoxid in der Lebensmittelproduktion der EU verboten ist, wird es jedoch in etlichen Drittstaaten zur Bekämpfung von Pilzen und Bakterien eingesetzt. Informationen niederländischer Behörden legen laut foodwatch nahe, dass mit Ethylenoxid belastete Import-Produkte bereits seit 2016 auf dem Markt sind. Die Bevölkerung könnte daher einer insgesamt höheren Menge an Ethylenoxid ausgesetzt sein als bisher vermutet.