Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass auch ausländische Betreuungskräfte für ihre Arbeits- und nächtlichen Bereitschaftszeiten bei der Betreuung den in Deutschland geltenden Mindestlohn erhalten. Nun fragen sich viele Familien, wie sie die häusliche Betreuung und Pflege von Pflegebedürftigen neu organisieren sollen. Wer tatsächlich eine 24-Stunden-Betreuung wünscht, müsste nach Maßgabe der Entscheidung drei Kräfte für je acht Stunden im Wechsel beschäftigen sowie Urlaubs- und Krankheitszeiten überbrücken, um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu gewährleisten. Das ist in der Regel unbezahlbar, zumal sich die Pflegekasse nur in Höhe des Pflegegeldes an einer solchen Betreuung beteiligt. Das sind selbst bei Pflegegrad Fünf nur 901 Euro. »Bis die Politik hier eine tragfähige Lösung findet, raten wir Betroffenen, Betreuung und professionelle Pflege getrennt voneinander zu organisieren«, sagt Susanne Punsmann, Juristin im Projekt »Pflegewegweiser Nordrhein-Westfalen« der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
So lässt sich eine Rundum-Betreuung legal neu aufstellen: Betreuung auf mehrere Schultern verteilen
Bisher zahlten Pflegebedürftige für die ausländische Betreuungskraft oftmals eine Tagespauschale von 80 oder 90 Euro, monatlich etwa 2.200 bis 3.000 Euro. Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist klargestellt worden, dass der in Deutschland gültige Mindestlohn zu zahlen ist, der seit dem 1. Juli 2021 bei 9,60 Euro liegt. Hinzu kommt, dass eine Betreuungskraft nur für durchschnittlich acht Stunden am Tag eingesetzt werden kann. Empfehlenswert ist daher, zusätzlich zu einer Betreuungskraft eine professionelle Pflegekraft zu engagieren. Spätestens ab Pflegegrad Drei sollte das ein ambulanter Pflegedienst sein. Weitere Betreuungszeiten können Verwandte, Nachbarn oder Minijobber übernehmen. Auch eine Tagespflege ist möglich. Tätigkeiten wie eine Medikamentengabe, das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen oder die Insulingabe fallen in die Aufgaben ambulanter Pflegedienste.
Bereitschaftszeit richtig einschätzen
Der Mindestlohn gilt nicht nur für eine achtstündige Arbeitszeit, sondern auch für Bereitschaftszeiten, zum Beispiel nachts. In dieser Zeit fallen in der Regel Tätigkeiten wie die Unterstützung beim Toilettengang, das Reichen eines Glas Wassers oder die Hilfe bei nächtlich desorientierten Pflegebedürftigen. Eine solche Bereitschaft oder auch Überstunden müssen vom Arbeitgeber angeordnet werden. Kommt die Betreuungskraft von einer Vermittlungsagentur (Entsendemodell), kann nur die Agentur die Überstunden anordnen. Pflegebedürftige selbst können Überstunden nur dann anordnen, wenn sie selbst Arbeitgeber der Betreuungskraft sind. Kann die Betreuungskraft über ihre Freizeit frei verfügen und bleibt ohne Bereitschaft im Haus, gilt keine Zahlungspflicht des Pflegebedürftigen.
Arbeitszeiten dokumentieren
Die acht Stunden müssen nicht an einem Stück geleistet werden, sondern können in Abstimmung mit der Vermittlungsagentur und je nach Bedarf über den Tag verteilt werden - wenn Pausen- und Ruhezeiten eingehalten werden und die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche nicht überschritten wird. Keine Nachzahlung ist zu befürchten, wenn nur acht Stunden täglich vereinbart werden – unter Berücksichtigung von Pausen- und Ruhezeiten. Am besten dokumentieren sowohl Pflegebedürftige als auch Betreuungskräfte einander gegenseitig die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten und etwaige vereinbarte Bereitschaftszeiten.
Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit vermeiden
Der Mindestlohn und das deutsche Arbeitszeitgesetz gelten für angestellte Betreuungskräfte, egal, ob sie beim Pflegebedürftigen direkt oder bei der Vermittlungsfirma angestellt sind. Einige Agenturen werben seit dem Urteil verstärkt mit der Vermittlung selbstständiger Kräfte, für die Mindestlohn und Arbeitszeitregelung nicht gelten. Doch wenn die Betreuungskraft beim Pflegebedürftigen einen Großteil ihres Einkommens verdient, sie weisungsgebunden ist und mit im Haushalt lebt, kann ein Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung schnell zu dem Ergebnis kommen, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Dann wären unter anderem die Sozialversicherungsbeiträge – auch rückwirkend – nachzuzahlen. Ein solches Verfahren kann nicht nur von misstrauischen Nachbarn, sondern auch von der Betreuungskraft selbst initiiert werden, beispielsweise wenn sie durch eine längere Tätigkeit in Deutschland Ansprüche auf Arbeitslosengeld II geltend machen möchte. Auch von der Betreuung in Schwarzarbeit ist abzuraten. Hier drohen neben der NachzahÂlungspflicht erhebliche Bußgelder und es entstehen Probleme, wenn die meist nicht krankenversicherten Betreuungskräfte erkranken oder einen Unfall haben.