München (ots) Die Studie »Vollbremsung oder Spurwechsel bei voller Fahrt?«, für die Roland Berger Vorstände und Geschäftsführer aus der mittelständischen Automobilzulieferindustrie befragt hat, zeigt eine Branche im Umbruch: Geschäftsmodelle müssen schneller als erwartet auf die elektrische Antriebstechnologie ausgerichtet werden. Die finanziellen Spielräume sind nach dem Krisenjahr 2020 allerdings vielerorts eingeschränkt. Um die Transformation dennoch zu bewältigen und die Investitionen in neue Technologien und Digitalisierung stemmen zu können, sind die Firmen umso mehr gezwungen, die Effizienz im angestammten Geschäft zu erhöhen.
»Die Automobilzuliefererbranche steht vor großen Herausforderungen. Neben der Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie, den derzeitigen Lieferengpässen sowie dem geringerem finanziellen Spielraum muss die Wende zur Elektromobilität schnell vollzogen werden", sagt Thomas Schlick, Partner bei Roland Berger. "Mit einer solch großen Dynamik, getrieben von den verschärften Klimazielen und Ankündigungen der Autohersteller zur zügigen Elektrifizierung der Flotte, haben vor allem im Mittelstand viele Zulieferunternehmen nicht gerechnet.«
Transformation zur E-Mobilität schneller notwendig als erwartet
Ihr aktuelles Produktportfolio verschafft vielen mittelständischen Automobilzulieferern kaum Wachstumschancen. Bereits bis 2030 wird der elektrische Antrieb den reinen Verbrennungsmotor bei den neu zugelassenen Fahrzeugen überholen. So geben fast 90 Prozent der befragten Unternehmen an, dass die Elektrifizierung spürbare Auswirkungen auf ihre Geschäftsmodelle hat. Dies gilt nicht nur für Zulieferer im Segment Antriebsstrang, sondern für den Mittelstand der Branche insgesamt. Die fortschreitende Digitalisierung hinsichtlich künstlicher Intelligenz und Automatisierung nennen 61 Prozent. An dritter Stelle steht das Autonome Fahren mit 56 Prozent.
Für jeden zweiten Befragten erfolgt die Umstellung hin zu elektrischen Fahrzeugen schneller als erwartet. Im Segment Motor und Antriebsstrang sind sogar fast zwei von drei Teilnehmern überrascht, wie schnell die Elektrifizierung voranschreitet. »Die Transformationsfähigkeit des eigenen Angebots wird für die Zulieferer zur Existenzfrage«, so Jan C. Maser, Partner bei Roland Berger. »Dabei gilt es, den Spurwechsel bei voller Fahrt zu meistern: Während das aktuelle Produkt- und Technologieportfolio noch stark vom Verbrenner geprägt ist, müssen die Unternehmen zeitgleich hohe Investitionen in neue Technologien tätigen – und das bei stagnierenden Produktionsvolumina und einer angespannten Margensituation.« In etwas abgeschwächter Form trifft diese doppelte Herausforderung auch die Mittelständler in den übrigen Segmenten. Auch hier werden häufig neue Technologien erforderlich. Gleichzeitig werden die Kosten für den Umbau des Antriebsstrangs partiell auch auf diese Segmente in Form von noch höherem Margendruck abgewälzt.
Die Branche steht vor einer Beschleunigung der Konsolidierung
Die Anzahl produzierter Fahrzeuge der deutschen Automobilhersteller sank 2020 um 16 Prozent auf 13,5 Millionen Einheiten weltweit. Mit einer Erholung auf Vorkrisenniveau ist nicht vor 2023 zu rechnen. Diese Entwicklung belastet die Zulieferer. Der Umsatz des durchschnittlichen Zulieferunternehmens im deutschen Mittelstand lag im vergangenen Jahr mit 1,09 Milliarden Euro unter dem Niveau von 2018 mit 1,25 Milliarden Euro. Die Gewinne (EBIT) haben sich im selben Zeitraum sogar mehr als halbiert – von 88,4 Millionen Euro 2018 (circa 7,1 Prozent Marge) auf 40,2 Millionen Euro in 2020 (circa 3,5 Prozent Marge).
»Die überwiegende Mehrheit der Befragten ist sich einig: Die neue Wertschöpfungsstruktur bei batterieelektrischen Fahrzeugen wird für viele Zulieferer existenzbedrohend«, so Schlick. »Denn während ein klassischer Antriebsstrang für einen Verbrenner rund 1.500 Einzelteile umfasst, sinkt die Zahl beim batterieelektrischen Antrieb auf nur etwa 250.« Diese Veränderung der Systemarchitektur dürfte auch zur Verlagerung großer Teile der Wertschöpfungskette ins Ausland führen, befürchten die Befragten. In der Konsequenz dürfte eine weitere Konsolidierung, verbunden mit dem mittel- und langfristigen Ausscheiden einzelner Marktteilnehmer, vor allem im Segment Antriebsstrang unausweichlich sein.
Top-Thema der Geschäftsführer ist Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
Mit Blick auf die Management-Agenda hat für 82 Prozent der befragten Führungskräfte der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit oberste Priorität, gefolgt von der Digitalisierung mit 63 Prozent. An dritter Stelle mit jeweils 56% stehen die Sicherstellung der Refinanzierungsfähigkeit sowie der Umbau des Portfolios hin zu Elektromobilität.
Für die Zulieferer gilt es nun schnellstmöglich und nachhaltig Kostenstrukturen zu optimieren und durch die Digitalisierung von Prozessen neue Potenziale zu heben. Beim Umbau des Geschäftsmodells sollten mittelständische Unternehmen ihre zukünftige Rolle in der Wertschöpfungskette kritisch hinterfragen. Dies gilt insbesondere, da die Systemebene im Fahrzeug zukünftig noch stärker von den OEMs und den großen Tier-Eins-Zulieferern besetzt werden wird. Eine (Re-)Positionierung als (Tier-Zwei) Spezialist oder Partnerschaften bei R & D-Aktivitäten können hier die erforderliche Transformation im Mittelstand beschleunigen.