Bielefeld (fhb). Vier Schläge auf der Bongo geben kurz den Takt vor und schon erklingt der gesamte Raum: Congas, Rasseln, Schellenkränze, Cajons. Sie alle spielen im gleichen Rhythmus – und das durch ganz einfache Bewegungen! Im ganzen Körper sind die Trommelschläge zu spüren, die Klänge dröhnen im Ohr, der Fuß wippt im Takt mit.
Oft mit einfachen Mitteln und ohne viele Vorkenntnisse ist gemeinsames Musikmachen möglich. Dafür muss nicht einmal die gleiche Sprache gesprochen werden oder die gleichen körperlichen Voraussetzungen herrschen. Ob in der Jugendarbeit, in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung, der Kita oder bei der Arbeit mit Geflüchteten – Musik verbindet Menschen, sie berührt und bewegt. Genau aus diesem Grund wird musikalische Bildung in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingesetzt.
Auch Rabea Beier hat bereits während ihres Freiwilligen Sozialen Jahrs an einer Grundschule Musikangebote in den Schulalltag der Kinder integriert. Sie gehört zu den Studierenden des Fachbereichs Sozialwesen der Fachhochschule (FH) Bielefeld, die sich für den neuen Qualifizierungsbereich »Musikalische Bildung« entschieden haben. Jetzt – gut zweieinhalb Jahre später – ist sie die erste Absolventin, der Prof. Dr. Juliane Gerland, Leiterin des Qualifizierungsbereichs, ihr Zertifikat überreichen kann.
»Ich interessiere mich schon lange für Musik und hatte auch mal darüber nachgedacht, ein Musikstudium zu beginnen«, erzählt die Bachelorabsolventin des Studiengangs Soziale Arbeit, die mit acht Jahren begonnen hat, Harfe zu lernen. »Mich hat es sehr gereizt, mich in dem Qualifizierungsbereich intensiv mit dem Thema musikalische Bildung auseinanderzusetzen und dafür am Ende auch ein Zertifikat zu erhalten.«
Methodischer Einsatz von Musik in der Praxis
Die Studierenden belegen in dem Qualifizierungsbereich unterschiedliche musikbezogene Seminare. »Die Kurse vermitteln sowohl Wissen als auch Kompetenzen für die musikalisch-künstlerische Praxis. Dazu zählt etwa der methodische Einsatz von Musik oder was es eigentlich bedeutet, wenn Menschen Musik erleben und darüber in Interaktion kommen,« erläutert Professorin Gerland.
Bei all dem lernen die Studierenden auch etwas über sich selbst: »Eine sehr wichtige Kompetenz, da sie auf die Fähigkeit zur Selbstreflexion auch in ihrem späteren Berufsleben angewiesen sind«, so Gerland. Sie selbst kam 2018 als Professorin für das Lehrgebiet »Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern« an die FH Bielefeld. Ein Jahr später startete dann der neue Qualifizierungsbereich unter ihrer Leitung.
Gruppenimprovisation und Drum Circle
Die Lehrenden des Fachbereichs Sozialwesen vermitteln den Studierenden Methoden, die sie in der Praxis anwenden können: wie zum Beispiel Spielvorschläge für eine Gruppenimprovisation oder wie ein Drum Circle funktioniert. Nach und nach können die Studierenden sich ein Repertoire an Musikstücken und Methoden für ihre eigene Praxis zusammenstellen.
Dabei ist es nicht notwendig, dass die Studierenden Noten lesen können oder wie Rabea Beier bereits ein Instrument spielen. »Das, weswegen wir Musik für die Soziale Arbeit und die Kindheitspädagogik einsetzen, lässt sich sowieso nicht vollständig aus Noten herauslesen. Übrigens ist Notenlesen gar kein Hexenwerk. Wer das lernen will, kann das in kurzer Zeit erreichen«, betont Gerland.
Unterschiedliche Instrumente ausprobieren
»Die Studierenden müssen allerdings die Bereitschaft mitbringen, sich im Laufe des Studiums an unterschiedlichen Instrumenten und der Stimme auszuprobieren«, sagt Gerland. »Wir haben an der FH viele Musikinstrumente, die einen niedrigschwelligen Zugang bieten. Genau solche Instrumente kommen auch später in der Berufspraxis zum Einsatz.« Die Professorin freut sich natürlich auch über alle erfahrenen Musikerinnen und Musiker: »Wenn jemand schon sehr versiert am Instrument ist, ist das natürlich musikalisch sehr reizvoll und für die Seminargruppe richtig klasse.«
Spannende Option in den Studiengängen Soziale Arbeit und Pädagogik der Kindheit
Anders als die obligatorische Profilbildung zum Abschluss des Studiums sind die Qualifizierungsbereiche für die Bachelorstudiengänge Soziale Arbeit und Pädagogik der Kindheit optional. Gerland: »Ein Qualifizierungsbereich bietet die Möglichkeit, sich einerseits fachlich zu profilieren, andererseits erlangen die Studierenden hier noch mehr Kompetenzen als im regulären Studium. Natürlich bedeutet so ein Zertifikat für die Studierenden auch mehr Aufwand, das sollte jedem im Vorfeld bewusst sein.«
Auch Studentin Beier hat während ihres Studiums festgestellt, dass ein gewisses Maß an Selbstorganisation dazu gehört, das »normale« Studium mit dem Qualifizierungsbereich zeitlich zu vereinbaren. Da hilft der Austausch mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen. »Ich habe den Eindruck, dass sich der neue Qualifizierungsbereich langsam aber sicher herumgesprochen hat. Die Kommunikation unter den Studierenden trägt sehr dazu bei, den Organisationsaufwand zu bewältigen«, so die Einschätzung der 23-Jährigen. Zusätzlich arbeitete Beier auch als Tutorin in Kursen des Qualifizierungsbereiches und half so den Studierenden in den unteren Semestern.
Nah an den Forschungsthemen des Fachbereichs
Zwar ist es weit verbreitet, dass bei Studiengängen im Sozialwesen ein künstlerischer oder musikalischer Schwerpunkt gelegt werden kann, ein extra Zertifikat zum Abschluss ist dennoch eine Besonderheit. Auch die enge Verknüpfung mit der Forschung ist Professorin Gerland ein Anliegen. Sie selbst forscht aktuell im Bereich Teilhabe an musikalischer Bildung für Jugendliche und junge Erwachsene mit komplexer Behinderung. »Hier untersuchen wir, inwieweit Apps und andere digitale Musiziermöglichkeiten Teilhabechancen verbessern können«, berichtet Gerland.
Publikation in wissenschaftlicher Fachzeitschrift
Für Rabea Beier hat sich aus dem Projekt ihrer Bachelorarbeit die Möglichkeit ergeben, in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift zu publizieren. Sie und die Professorin stehen dafür nun über den Abschluss hinaus weiterhin in Kontakt.
»In dem Feld, das Rabea Beier erforscht hat, gibt es noch einige Lücken. Ihre Forschungsergebnisse sind daher enorm wertvoll«, sagt Gerland. Für ihre Bachelorarbeit hat Beier das gemeinsame Musizieren einer Mutter mit ihrem sechsjährigen Sohn, der mit einer Mehrfachbehinderung lebt, untersucht. Der Kontakt zu der Familie kam über ein Praktikum bei einem familienunterstützenden Dienst in Bielefeld zustande.
Die Absolventin der Sozialen Arbeit will sich nun genau in dem Feld weiterentwickeln. Im Wintersemester beginnt sie einen berufsbegleitenden Master in Musiktherapie in Friedensau, Sachsen-Anhalt. Nebenbei wird sie in einer Kindertagesstätte arbeiten, in der Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam betreut werden. »Und ganz passend hat die Kita einen künstlerisch-musikalischen Schwerpunkt«, freut sich Beier.
Beispiele für Projekte im Qualifizierungsbereich Musikalische Bildung
- Musik zur Unterstützung von Familien mit Kindern mit Behinderung im Hinblick auf die Ressource der Bindungsstärke
- Musik und immersiver Spracherwerb
- Musikpraxis in der Kinder- und Jugendhospizarbeit
- Entwicklung eines Mini-Musicals in der Kindertageseinrichtung »EffHa«
- Musizieren mit Apps in der Kindheit
- Künstlerische Kommunikation mit Menschen mit Behinderung
- Musik und Tanz in der Offenen Ganztagsschule