Die Berliner Morgenpost veröffentlicht folgende Information: Berlins Finanzsenator dämpft Hoffnung auf deutlich mehr Personal
Berlin (ots)
Berlins neuer Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) hat angekündigt, dass das Land eine »strikte Haushaltsdisziplin« üben muss. »Das Ziel ist und bleibt ein ausgeglichener Landeshaushalt«, sagte er der Berliner Morgenpost. Zwar wolle Rot-Grün-Rot jedes Jahr rund drei Milliarden Euro in die Stadt investieren, doch zur Finanzpolitik gehöre auch, »dass man sich bescheiden muss«. Zum Beispiel beim Personal. In den vergangenen fünf Jahren sei die Zahl der Stellen in den Bezirken um 20 Prozent gesteigert worden. Wesener: »Das werden wir in den nächsten Jahren nicht hinbekommen, da sind es landesweit nur die genannten 2300 zusätzlichen Stellen pro Jahr in der Hauptverwaltung und den Bezirken.« Bei den Investitionen laute das Zauberwort »Priorisierung«. Das heiße, genau zu prüfen, was ginge und was nicht.
Das vollständige Interview im Wortlaut
Berliner Morgenpost: Herr Wesener, Sie übernehmen das Finanzressort in unübersichtlichen Zeiten. Schlafen Sie noch gut?
Ich habe in den vergangenen Monaten schon schlechter geschlafen. Der Wahlkampf, die Koalitionsverhandlungen und die Konstituierung des Abgeordnetenhauses waren auch mit viel Nachtarbeit verbunden. Seitdem ich mich für das Angebot entschieden habe, die wichtigen Aufgaben des Finanzsenators zu übernehmen, schlafe ich besser.
Berliner Morgenpost: Die Pandemie macht das Leben schwer vorhersehbar, ist da eine seriöse Finanzplanung überhaupt möglich?
Eine Finanzplanung beruht immer auf #Annahmen. Haushalts- und Finanzpolitik ist keine exakte Wissenschaft. Aber Sie haben natürlich recht: In diesen Zeiten belastbare Zahlen für eine Spanne von fünf Jahren vorzulegen, ist nicht ganz einfach. Gleichwohl gibt es verschiedene Indikatoren wie Steuerprognosen, Konjunkturdaten und Statusberichte. Vor diesem Hintergrund ist es möglich zu ermitteln, wie groß oder klein die finanziellen Spielräume zukünftig wohl sind. Das ist auch im gerade abgelaufenen Jahr der Fall gewesen, trotz der Pandemie. Wobei wir eine Tendenz feststellen, nämlich, dass sich die konjunkturelle Lage in Berlin und damit auch die Einnahmeentwicklung des Landeshaushaltes sukzessive aufgehellt hat. Wir hoffen natürlich, dass diese Tendenz anhält.
Berliner Morgenpost: Nun drohen neue Unsicherheiten durch eine mögliche Omikron Welle. Sind die in die Berechnungen schon eingepreist?
Jede neue Virusvariante wirft neue Fragen auf. Allerdings stehen wir Ende 2021 an einer anderen Stelle als noch zu Beginn der Pandemie. Ein Großteil der Bevölkerung ist geimpft. Wir haben uns an gewisse Rahmenbedingungen wie die Infektionsschutzmaßnahmen gewöhnt. Auch das Thema Homeoffice ist zwischenzeitlich eines, mit dem viele ganz selbstverständlich umgehen. Die Finanzverwaltung ist da ein gutes Beispiel: Sie ist fast vollständig digitalisiert. Hier ist die E-Akte keine ferne Zukunftsmusik, sondern Arbeitsrealität. Ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen arbeitet zurzeit im Homeoffice.
Berliner Morgenpost: Es gab bereits viele Hilfsprogramme, die jetzt fortgeführt oder neu aufgelegt werden müssen. Haben Sie eine Vorstellung davon, welche Haushaltsbelastungen jetzt auf das Land zukommen?
Zunächst einmal bin ich froh darüber, dass die neue Bundesregierung angekündigt hat, die Überbrückungshilfe IV und die Neustarthilfe fortzuführen. Das sind Hilfen, die Betrieben zugutekommen, aber auch den Solo-Selbstständigen, die in Berlin bekanntlich sehr zahlreich sind. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir für Berlin zusätzliche Hilfen auflegen, wenn wir feststellen, dass die Bundeshilfen nicht ausreichen und es Lücken gibt oder dass wegen der spezifischen Berliner Situation eine gezielte Unterstützung erforderlich ist. Hierbei geht es vor allem um eigene Neustartprogramme.
Berliner Morgenpost: Was heißt das konkret?
Da geht es zum Beispiel um das Messegeschäft, das von der Pandemie besonders hart getroffen ist. Dazu gehören aber auch weitere Stipendien für Künstlerinnen und Künstler. Es gab mehrere erfolgreiche Programme in Berlin, die letztlich auch Vorbild für andere Bundesländer waren. Wir behalten uns die Neuauflage dieser Hilfen vor.
Berliner Morgenpost: Was ist neben der Pandemie das größte Haushaltsrisiko für die kommenden Jahre – der BER, der nicht richtig zum Laufen kommt; die BVG, die es lange war und den Fuhrpark massiv ausbauen soll; oder doch die Wohnungsbaugesellschaften mit den ehrgeizigen Neubauzielen des Senats und den hohen Baupreisen?
Berlin hat in den vergangenen Jahren eine hervorragende Bilanz vorzuweisen. Darauf kann mein Vorgänger Matthias Kollatz und diese Stadt stolz sein. Wir hatten vor der Krise mit die höchsten Zuwachsraten im Bundesländervergleich, ob das die Entwicklung der Konjunktur oder der Steuereinnahmen waren, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf oder die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs. Es sieht alles danach aus, als könnte Berlin nach der Krise an diese positive Entwicklung anschließen. Wir kümmern uns auch um die vielen Landesunternehmen. Nicht alle sind von der Pandemie negativ betroffen, aber einige trifft es dafür umso härter.
Berliner Morgenpost: Um welche geht es?
Das sind vor allem die BVG, der Vivantes-Konzern und die Flughafengesellschaft. Das liegt nahe, etwa wenn man sich die Auswirkungen der Pandemie auf die Fahrgastzahlen der Verkehrsunternehmen ansieht. Hier werden wir weitere Hilfe leisten, um Defizite auszugleichen und auch weiterhin eine gute Grundversorgung für alle sicherzustellen. Klar ist allerdings auch, dass Berlin in den vergangenen Jahren eine einmalige Aufholjagd hingelegt hat, die sich in der Pandemie so nicht fortsetzt. Wir werden also strikte Haushaltsdisziplin üben müssen. Das Ziel ist und bleibt ein ausgeglichener Landeshaushalt.
Berliner Morgenpost: Im Koalitionsvertrag steht, dass der Haushalt in den kommenden fünf Jahren dennoch um jeweils eine Milliarde Euro auf dann 36 Milliarden Euro steigen soll. Ist das realistisch?
Ja. Die Haushalts- und Finanzpolitik hat in den Verhandlungen eine überragende Rolle gespielt, weil jedem in der Koalition die Herausforderungen und die Notwendigkeit, Schwerpunkte zu setzen, klar sind. Dazu gehören die notwendigen Investitionen in die Verkehrswende und den Wohnungsbau. Wir haben uns die finanziellen Spielräume des Landes sehr genau angesehen und wissen, dass die kleiner sind als vor der Krise. Aber es sind immer noch zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Euro, die Berlin jedes Jahr zusätzlich zur Verfügung hat.
Berliner Morgenpost: Wofür soll das Geld ausgegeben werden?
Das Geld wollen wir insbesondere für die Fortsetzung der Berliner Investitionsoffensive in die Hand nehmen. Wir streben an, auch weiterhin jedes Jahr rund drei Milliarden Euro in diese Stadt zu investieren. Gleichzeitig wollen wir die Verwaltung weiter ertüchtigen und neue Stellen schaffen, jedes Jahr 2300 zusätzlich in der Hauptverwaltung und den Bezirken. Priorität haben bessere Bürgerdienstleistungen im Sinne einer funktionierenden Stadt, aber auch mehr Stellen für die bauenden Bereiche und die Verkehrsplanung.
Berliner Morgenpost: Sie haben die Schwerpunkte Verkehrswende, Wohnungsbau und Personal angesprochen. Müsste mit der Personalplanung nicht auch eine neue Aufgabenkritik einhergehen, anstatt einfach immer mehr Personal einzustellen?
Das ist völlig richtig. Berlin hatte und hat großen Nachholbedarf infolge der harten Sparjahre. Wir alle erinnern uns ans »Sparen, bis es quietscht«. Es quietschte ja auch. Gleichzeitig schieben wir eine hohe demografische Bugwelle vor uns her, das heißt, wir müssen hinreichend junge Menschen einstellen, wenn die älteren in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Aber in der Tat: Wir werden uns infolge der Pandemie bescheiden müssen und der Personalaufwuchs ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist die Fortführung der Verwaltungsreformen …
Berliner Morgenpost: Die lange angekündigt sind, aber noch nicht recht umgesetzt.
Mit denen haben wir in der vergangenen Legislaturperiode begonnen. Nun nehmen wir die Zusammenarbeit von Hauptverwaltung, Bezirken und Sonderbehörden noch stärker in den Blick. Hier gilt es zu entscheiden, wer welche Aufgabe am besten wahrnehmen kann, um Doppelzuständigkeiten ein für alle Mal abzuschaffen. Die Berlinerinnen und Berliner haben ein Recht auf eine gut aufgestellte, moderne Verwaltung.
Berliner Morgenpost: Sie haben eben in einem Nebensatz gesagt, dass wir uns bescheiden müssen. Können Sie schon sagen, wo?
Beim Personal meine ich damit, dass wir in den vergangenen fünf Jahren die Zahl der Stellen in den Bezirken um 20 Prozent gesteigert haben. Das werden wir in den nächsten Jahren nicht hinbekommen, da sind es landesweit nur die eben genannten 2300 zusätzlichen Stellen pro Jahr. Bescheiden müssen wir uns auch bei den Investitionen insgesamt. Es ist kein Geheimnis, dass die Investitionsplanung schon vor Corona überbucht war und bereits der laufende Doppelhaushalt ein strukturelles Defizit aufweist. Insofern müssen wir den allzu steilen Ausgabenpfad dämpfen. Das Zauberwort lautet: Priorisierung. Wenn Sie einen Finanzsenator fragen, ob genug Geld da ist, wird er immer sagen: Nein, denn die Summe aller Wünsche ist immer größer als die realen finanziellen Möglichkeiten. Auch darüber haben wir in den Koalitionsverhandlungen lange geredet und uns zu einer stärkeren politischen Schwerpunktsetzung bekannt.
Berliner Morgenpost: Können Sie ein Beispiel für die Priorisierung nennen?
Maßgeblich darf nicht der reine Wunsch nach einer Maßnahme als nackte Zahl im Landeshaushalt sein, sondern die tatsächliche Investitions- und Bautätigkeit. Wir müssen in Berlin dahin kommen, uns weniger abstrakt vorzunehmen und mehr tatsächlich umzusetzen.
Berliner Morgenpost: Da fehlt es im Koalitionsvertrag aber an konkreten Priorisierungen, oder?
Das kann man aus dem schon herauslesen. Wir haben nach wie vor einen großen Sanierungsstau in vielen Sektoren, sei es in den Krankenhäusern und Hochschulen oder im Sportbereich. Diesen Sanierungsstau wollen wir angehen, haben aber auch vereinbart, genau zu prüfen, was dort jeweils geht und was nicht. Zugleich haben wir klare Akzente gesetzt, etwa beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder der sozialen Wohnraumförderung. Die Berlinerinnen und Berliner haben bei der Wahl ja nicht umsonst gesagt, dass hier die größten Probleme der Stadt liegen.
Berliner Morgenpost: Zwei Beispiele, die also hinten herunterfallen, sind demnach das ICC und die Zentrale Landesbibliothek (ZLB)?
Jein. Über beide Projekte haben wir geredet und klare Vereinbarungen getroffen. Bei der ZLB bleibt es dabei, dass wir mit den Vorbereitungen für den Neubau noch in dieser Legislaturperiode beginnen. Richtig ist, dass die konkrete Planung um ein Jahr geschoben wird. Beim ICC bleibt es beim bestehenden Senatsbeschluss, keine Landesmittel für eine Komplettsanierung bereitzustellen. Hier werden wir weiter nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten suchen. Als drittes Beispiel kann man den Flughafen Tempelhof nennen. Auch hier ist klar, dass eine Komplettsanierung des Gebäudes weder zeitlich noch finanziell in dieser Legislaturperiode machbar ist. Wir werden hier aber jedes Jahr 50 Millionen Euro für einzelne Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung stellen, auch zugunsten temporärer Nutzungen.
Berliner Morgenpost: Das Finanzressort gilt als das wichtigste Fachressort. Sehen Sie sich als »grünen« Gegenpol zur #SPD geführten Senatskanzlei und der Regierenden Bürgermeisterin?
Ich habe mich in der Politik noch nie als Gegenpol verstanden. Es gibt eine einzige Fraktion im Abgeordnetenhaus, bei der ich in den letzten fünf Jahren das Gefühl hatte, dass mich mit ihr überhaupt nichts verbindet. Wer in einer Koalition nicht gut und vertrauensvoll zusammenarbeitet, der kann die ihm übertragene Aufgabe auch nicht erfüllen. Das gilt erst recht im Umgang mit inhaltlichen Differenzen, die es im Einzelnen in der Politik natürlich immer gibt. Ich freue mich auf die Arbeit im Senat und die vielen neuen Kolleginnen und Kollegen. Die ersten beiden Senatssitzungen waren von diesem Geist der Zusammenarbeit geprägt und dem gemeinsamen Anspruch, es noch besser zu machen als in der letzten Legislaturperiode.
Berliner Morgenpost: Wie ist es den »#Grünen« überhaupt gelungen, das Ressort der SPD zu entreißen?
Das müssen Sie unsere Spitzenkandidatin Bettina Jarasch fragen. In der allerletzten Spitzenrunde, in der die Ressorts verteilt wurden, war ich nicht dabei. Es würde mich aber auch sehr interessieren. (lacht)
Berliner Morgenpost: Ihre drei Vorgänger Thilo Sarrazin, Ulrich Nußbaum und Matthias Kollatz (alle SPD) waren alle drei entweder Volkswirte und/oder Banker, die von außen kamen und nicht an berlininterne Netzwerke gebunden waren. Das gilt für Sie nicht. Ist das ein Nachteil?
Ich glaube, dass das Amt des Finanzsenators eines ist, bei dem man mit jeder Lebenserfahrung und jedem Ausbildungshintergrund viel dazulernen kann. Aufgabenfülle, Zuständigkeiten und Verantwortung sind beträchtlich. Richtig ist, dass ich kein Volkswirt oder Banker bin. Richtig ist aber auch, dass ich in den letzten 20 Jahren Berliner Politik von der Pike auf gelernt habe. Ich kenne die Bundes-, die Landes- und die Bezirkspolitik. Das dürfte ein Vorteil sein.
Quelle: Berliner Morgenpost