Bielefeld, Wundversorgung mit VR Brille, FH Projekt entwickelt interaktive Übungen für Studenten im Gesundheitsbereich
Bielefeld, 29. März 2022
- Wie im Medizinstudium ist die Arbeit an konkreten Fällen auch im Pflegestudium wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Im Forschungsprojekt »DiViFaG« der FH Bielefeld entstehen dafür digitale »eSzenarien«, mit denen Studenten Tätigkeiten ihres späteren Berufsalltags einüben können. Die Ergebnisse sollen in einem interdisziplinären Schulungskonzept münden, das als Open Education Ressource (OER) weiteren Hochschulen zur Verfügung gestellt wird.
Bielefeld (FHB) Mit geübten Handgriffen packt Amelie Wefelnberg das Verbandszeug aus. »Jetzt kurz stillhalten, das kann etwas weh tun«, sagt sie mit ruhiger Stimme zu der Patientin auf dem Krankenhausbett, während sie die offene Wunde am Schienbein verbindet. Eine alltägliche Situation in einem Krankenhaus oder Pflegeheim. Doch statt Gemurmel auf dem Krankenhausflur summt nur ein Beamer leise unter der Decke. Amelie Wefelnberg befindet sich auch nicht in einem Krankenzimmer, sondern im Skills Lab der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Statt in weißer Kluft Aug in Aug mit einer Kranken zu sein, trägt sie lediglich eine schwarze Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf und vollführt Bewegungen im luftleeren Raum. Was ist da los?
Amelie Wefelnberg studiert am Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld und ist zudem wissenschaftliche Hilfskraft im Forschungsprojekt »Digitale und virtuell unterstützte Fallarbeit in den Gesundheitsberufen« (DiViFaG). In dem Projekt werden verschiedene »eSzenarien« zur problemorientierten Fallarbeit entwickelt und erprobt. Die Szenarien simulieren mithilfe digitaler Technologien wie der virtuellen Realtität (VR) Alltagssituationen im Gesundheitsbereich, beispielsweise die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten, die Infusionsvorbereitung oder eben die Versorgung von Wunden in einer virtuellen Umgebung.
Erste Szenarien von Pflege Studenten erprobt
Studenten des Studiengangs Pflege haben in einem ersten Schritt bereits zwei von zahlreichen weiteren geplanten eSzenarien erprobt und auf »Herz und Nieren« geprüft. Dabei handelt es sich um die Szenarien »Menschen mit chronischen Wunden begleiten« und »In Notfallsituationen handeln«. Funktioniert die Bedienung der VR Brille? Werden alle wichtigen Handlungsschritte abgefragt? Und vor allem: Ist die Ãœbung auch realistisch? Das waren die wichtigsten Ausgangsfragen für den Check.
»Die Szenarien basieren immer auf einem authentischen Fallbeispiel, das didaktisch aufbereitet wurde«, erklärt Lisa Nagel, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt. »Die Studenten können sich in Audiodateien die verschiedenen Perspektiven der beteiligten Akteurinnen und Akteure, beispielsweise der verletzten Person oder der behandelnden Ärztin, anhören, wodurch ein umfassendes Bild der Lage entsteht.«
Mehr Sicherheit und weniger Materialverschwendung
Nach einer kurzen Einführung durch das Projektteam durften die Studenten in die #VR #Brille und die dazugehörigen Controller schlüpfen. Über den Bildschirm in der Brille finden sie sich in einer dreidimensionalen Umgebung wieder und müssen mit den Patientinnen und Patienten sprechen, bestimmte Handlungsschritte absolvieren und beispielsweise eine Reanimation an einer Person vornehmen. Gesteuert wird die Übung mit den Controllern, die mit dem Programm verbunden sind – ähnlich wie in einem Computerspiel. Die Lehrenden und Kommilitoninnen und Kommilitonen können die Übung auf dem Bildschirm verfolgen.
Bereits nach kurzer Zeit waren die Berührungsängste mit der Technik verflogen. Das Feedback der Studenten fiel durchweg positiv aus. Eine Studentin: »Wenn man sich einen Handlungsplan oder Lehrvideos anguckt, dann sieht man die Aufgaben nur. Durch die VR Szenarien können wir die Ãœbungen auch selber durchführen, ohne dass wir beispielsweise Materialien unnötig verschwenden.«
An die virtuellen Ãœbungen schließt sich die gleiche Aufgabe im Skills Lab mit realen Personen und in einer realistischen Umgebung an. Dafür legt sich die Kommilitonin dann auch tatsächlich in das »echte« Pflegebett und lässt sich die geschminkte Wunde auf dem Bein verbinden. Patientin beruhigen, Handschuhe anziehen, Wunde verbinden – die Handlungsschritte bleiben gleich.
Verschiedene Formate ermöglichen unterschiedliche Zugangswege zu Lehrinhalten
Derartige praxisnahe Übungen an konkreten Fällen sind wichtiger Bestandteil der Ausbildung im Gesundheitsbereich. Die virtuellen Übungen sollen die Aufgaben im Skills Lab oder den Austausch mit Lehrenden keinesfalls ersetzen, sondern den Studenten ergänzend Sicherheit für die praktischen Übungen und den späteren Berufsalltag geben.
Ariane Rolf, examinierte Altenpflegerin und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Fachbereich Gesundheit, begleitete die Studenten bei den ersten Ãœbungen und weiß um die Vorteile verschiedener Lehrformate: »Durch den Fallbezug erhalten die Szenarien eine Nähe zum Berufsalltag, die für die Vernetzung von Theorie und Praxis besonders wertvoll ist«, so Rolf weiter. »Außerdem bringen die unterschiedlichen Lehrmethode beziehungsweise Lernmethoden eine wertvolle Abwechslung ins Studium, die förderlich ist für die Aufnahme der Inhalte. Die Kombination aus Präsenzveranstaltungen und Distanzveranstaltungen ermöglicht ein selbstgesteuertes Lernen. Alles in allem: eine Bereicherung für das Studium und die Studenten!«
Interdisziplinärer und hochschulübergreifender Austausch
Die Rückmeldung der Studenten fließen in das Schulungskonzept für die entwickelten Lehr-/Lernszenarien mit ein und werden an alle beteiligten Hochschulen des Projekts weitergegeben. Neben der FH Bielefeld sind die Universität Bielefeld (Medizin und Mediendidaktik), die Hochschule Osnabrück (Pflegewissenschaft) sowie die Hochschule Emden/Leer (Informatik) an dem Projekt beteiligt.Ein wichtiger Teilaspekt des Projekts ist der Austausch zwischen den Disziplinen Pflege und Medizin. Geplant ist dafür auch die Entwicklung eines »Multiplayer-Szenarios«, in dem sich Studenten verschiedener Disziplinen von verschiedenen Orten aus als Avatare in einem virtuellen Raum treffen können und gemeinsam einen Fall besprechen.
Das interprofessionell, interdisziplinär und hochschulübergreifend entwickelte fachdidaktische Konzept wird am Ende als Open Educational Ressource (OER) zur Verfügung gestellt. Das Projekt wird im Rahmen der Förderlinie »Forschung zur digitalen Hochschulbildung« vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Förderlinie nimmt die derzeitige E-Learning-Praxis der Hochschulen in den Fokus und beschäftigt sich mit dem Potenzial, das die Nutzung digitaler Medien in der Hochschulbildung bietet.