Alice Schwarzer bekräftigt Forderung sofortiger Verhandlungen mit Russland
- Vorwurf »toxischer Männlichkeit« an Putin und Selenskyj gleichermaßen
Köln (ots)
- Publizistin sieht umstrittenen offenen Brief an Kanzler Scholz als Erfolg: »Ziel zu hundert Prozent erreicht«
Die Publizistin Alice Schwarzer hat als Mitverfasserin eines vieldiskutierten offenen Briefs an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihren Ruf nach sofortigen Verhandlungen mit Russland zur Beendigung des Kriegs erneuert. »Ich halte Putin nicht für verrückt«, sagte Schwarzer dem »Kölner Stadt Anzeiger« (Samstagsausgabe). Der russische Präsident wisse selbst, »dass er diesen Krieg, der von Anfang an ein Verbrechen war, nicht ewig führen kann«.
Aus Schwarzers Sicht wäre nach dem Ende der Kämpfe um Kiew und mit der Verlagerung des Kriegs in die Ostukraine ein guter Zeitpunkt erreicht, einen Waffenstillstand auszuloten und nach Kompromissen zu suchen. Fast immer seien »in einem Krieg die Folgen des Krieges schlimmer als die Folgen von Verhandlungen und Kompromissen. Und in diesem Fall geht es ja nicht nur um die Folgen für die Konfliktparteien, sondern für die ganze Welt.« Schwarzer verwies hier insbesondere auf Millionen Menschen im globalen Süden, die aufgrund ausbleibender Nahrungsmittel-Lieferungen vom Hungertod bedroht seien - eine »humanitäre Katastrophe unglaublichen Ausmaßes«, so Schwarzer.
Die Herausgeberin der feministischen Zeitschrift »Emma« warf sowohl Putin als auch dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, durch Macho Gehabe die Situation zu verschlimmern. »Verletzte Männerehre ist gemeingefährlich, bei Ehemännern wie bei Präsidenten. Und die ›toxische Männlichkeit‹, wie man heute sagt, spielt auch hier auf beiden Seiten eine große Rolle.« Von Putin kenne man das zur Genüge. »Doch auch Selenskyj füllt die Pose des Helden aus, der entschlossen ist, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen.« Sie habe von ihm bisher noch kein Wort der Nachdenklichkeit gehört, kritisierte Schwarzer. »Nur, dass der Krieg weitergehen muss – nicht, wie er beendet werden könnte.«
Ihren offenen Brief bezeichnete Schwarzer als ungewöhnlichen Erfolg. Das Hauptziel, die Vorbehalte gegenüber immer weiteren Waffenlieferungen vernehmlich werden zu lassen, sei »zu 100 Prozent erreicht«. Sie habe in ihrem Leben »ja nun schon so manches angezettelt«, fuhr die 79 Jährige fort. »Aber ich muss sagen: Die Reaktionen auf diesen Brief sind einfach großartig. Und zwar nicht nur die Zustimmenden, sondern durchaus auch die noch Nachdenklichen und Kritischen. Endlich ist zu dieser für uns alle lebenswichtigen Frage eine öffentliche Debatte in Gang gekommen. Über die Gefahr einer Eskalation bis zu einem dritten Weltkrieg muss geredet werden!«
Kommentar zum Kommentar
»Toxizität« ist ein modernes Schlagwort. Genauso gibt es »toxische Weiblichkeit«, die sich freilich in der Regel nicht in Form von physischer Gewalt darstellt. Was nach wie vor niemand so richtig begreifen kann und will, ist, dass Interessen nicht durchgesetzt werden dürfen, sondern dass sie ausgeglichen werden müssen. In der Antike war das einigen Leuten bekannt, ist aber offenbar wieder in Vergessenheit geraten.