Bielefeld, »Berlin Alexanderplatz«, Premiere am 4. September 2022 im Theater Bielefeld, Uraufführung
- Auftragswerk der #Bühnen und #Orchester der Stadt #Bielefeld
- Spartenübergreifendes #Musiktheater in 5 Akten
- Libretto von Christiane Neudecker nach dem Roman von Alfred Döblin
- In deutscher Sprache mit Übertiteln
- Gefördert von der Hanns Bisegger #Stiftung und vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes #Nordrhein #Westfalen im Rahmen von #Fonds Neues #Musiktheater 2020 bis 2022
- Musikalische Leitung Anne Hinrichsen, Inszenierung Wolfgang Nägele, Second Unit Dariusch Yazdkhasti, Bühne und Kostüme Timo Dentler, Okarina Peter, Choreografie Sommer Ulrickson, Dramaturgie Katrin Enders, Anne Christine Oppermann, Choreinstudierung Hagen Enke, Mit Evgueniy Alexiev, Oliver Baierl, Brit Dehler, Lukas Graser, Fabienne-Deniz Hammer, Franziska Hösli, Stefan Imholz, Veronika Lee, Shannon Leypoldt, Nicole Lippold, Doreen Nixdorf, Moon Soo Park, Tom Scherer, Lorin Wey, Thomas Wolff, Bielefelder Opernchor, Bielefelder Philharmoniker
Die Gefängnistore schließen sich hinter Franz Biberkopf. Er ist frei! 4 Jahre lang hat er hinter diesen Mauern seine Strafe wegen Totschlags verbüßt. Und nun? Sein Entschluss steht fest: Er will anständig bleiben, ein rechtschaffener Kleinbürger sein. Doch wie fasst man Fuß in einer hektisch pulsierenden, stetig wachsenden Großstadt, wenn der geregelte Gefängnisalltag einem schon fast zur Heimat geworden ist? Das eigenverantwortliche Leben als freier Mann überfordert Franz, zu viel sind der Eindrücke, der Geräusche, der Menschen. Er gerät an falsche Freunde, verliert seine neue Liebe und wird immer tiefer hineingezogen in einen Strudel aus Kriminalität, Verrat und Gewalt. Und die Stadt um ihn herum verändert ihr Gesicht …
Mit dem 1929 erschienenen Berlin Alexanderplatz verfasste Alfred Döblin ein Schlüsselwerk der Moderne und einen der ersten Großstadtromane überhaupt. Daher gab auch nicht der Antiheld Franz Biberkopf, sondern die Stadt Berlin mit einem ihrer lebendig-chaotischsten Plätze dem Buch seinen Namen. Diese Polyphonie einer Metropole wurde schon mehrfach für Bühne, Film und Hörfunk adaptiert, jedoch nie zuvor vertont. Michael Heicks, Intendant der Bühnen und Orchester Bielefeld, bemühte sich persönlich um die Vertonungsrechte und ist überglücklich, »dass es uns gelungen ist, Stephan Döblin, den Sohn von Alfred Döblin, von unserer Idee zu überzeugen, so dass Berlin Alexanderplatz nun erstmals als Musiktheater auf einer Bühne zu erleben sein wird. Dieser Mammutstoff ist so facettenreich, dass sich eine Opernfassung gepaart mit Elementen aus Schauspiel und Tanz nahezu aufdrängt.«
Auch die Komponisten Vivan und Ketan Bhatti halten Döblins innovativen Roman, der städtische Geräusche und Klänge bereits mit Worten zum Leben erweckte, für wie geschaffen, um ihn als spartenübergreifendes Musiktheater zu gestalten. Ähnlich der formsprengenden Montagetechnik der Vorlage lassen sie sich von unterschiedlichsten Stilen inspirieren, die eine Brücke von der Handlungszeit ins Heute schlagen. »Unser Ziel ist es, verschiedene Klangwelten vom 20er Jahre Schlager bis hin zu zeitgenössischer Musik einzufangen und durch mimetische, also nachahmende Prozesse zu einem eigenen urbanen Sound zusammenzufassen«, beschreibt Vivan Bhatti die musikalische Idee. Sein Bruder Ketan Bhatti ergänzt: »Wir nutzen dafür eine klassische Orchesterbesetzung mit einem ausgeweiteten Schlagzeugensemble und einem Synthesizer, der live angespielt wird. Wie klingt dieses Leben in der Stadt? Das Leben im Kapitalismus, an dem das Individuum sich abarbeitet. Das Wispern, das Gemurmel, das Rauschen, der Verkehr, der Puls – all das wollten wir mit den Mitteln des Orchesters in eine Musiksprache überführen, die die großen Fragen des Romans weiterspinnt.«
Die Stadt Berlin wird – dem Titel entsprechend – im Libretto zu einer den Personen geradezu ebenbürtigen Hauptfigur, zeigt sich an ihr doch fast prophetisch die Veränderung einer Gesellschaft im aufkeimendem Faschismus. Als zentrales Stilmittel hat Autorin Christiane Neudecker daher einen Stadtchor erfunden, der sowohl singt als auch spricht. Doch aus dem Grundrauschen dieses Kollektivs schälen sich immer wieder einzelne Individuen heraus und bilden situative Konstellationen. Das zentrale Anliegen des Bielefelder Theaters, über Grenzen hinaus zu denken und zu agieren, verwirklicht sich somit erneut in einem spartenübergreifenden Großprojekt, das Mitglieder der Ensembles Gesang, Spiel und Tanz sowie den Bielefelder Opernchor und die Bielefelder Philharmoniker zusammenführt.
Spartenübergreifend groß zusammengesetzt ist daher auch das Leitungsteam um Regisseur Wolfgang Nägele: Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Studienleiterin und Kapellmeisterin Anne Hinrichsen, Schauspieldirektor Dariusch Yazdkhasti leitet parallele Proben in einer Second Unit, Timo Dentler und Okarina Peter zeichnen für Bühne und Kostüme verantwortlich, Sommer Ulrickson entwickelt die Choreografie, Katrin Enders begleitet die Produktion als Schauspielerin und Anne Christine Oppermann als Musikdramaturgin.
Wie der praktizierende Nervenarzt Döblin sich eindringlich mit der Psyche seiner Figuren beschäftigte, taucht auch Wolfgang Nägeles Inszenierung in die subjektive Perspektive von Franz Biberkopf (Evgueniy Alexiev) ein. Gleich einem surrealen Albtraum sucht ihn die überwältigende Stadterfahrung heim – was ist Wirklichkeit, was Phantasie? Mal mitleidig, mal sarkastisch, registriert und kommentiert der Erzähler (Thomas Wolff) die zwischen Ohnmacht, Hochmut und Gewalttätigkeit schwankenden Versuche Franz Biberkopfs, in der Gesellschaft wieder Tritt zu fassen. In Reinhold Moroskiewicz (gesungen von Lorin Wey) meint Franz einen Freund gefunden zu haben – ohne zu ahnen, dass dieser ihn nicht nur wieder in den Sumpf des Verbrechens zurückziehen, sondern ihm mit sadistischer Freude und Brutalität immer größeren Schmerz zufügen wird. Ein Hoffnungsschimmer kommt durch Mieze (alternierend gesungen von Veronika Lee und Lou Denès) in Franzʼ Leben. Wie man sich in Berlin über Wasser hält, wissen der Kleinkriminelle Pums (Olivier Baierl) und seine Bande. Als Stadt und in diversen Rollen sind des Weiteren zu erleben: die Schauspieler Brit Dehler, Lukas Graser, Fabienne-Deniz Hammer, Stefan Imholz, Nicole Lippold, Doreen Nixdorf und Tom Scherer, die Tänzerin Shannon Leypoldt, die Sänger Franziska Hösli und Moon Soo Park sowie der Bielefelder Opernchor.
Die Komponisten
Die Brüder Vivan und Ketan Bhatti bewegen sich als Kompositionsteam und Produktionsteam im Grenzbereich zwischen Neuer, Elektronischer und Populärer Musik. Vivan Bhatti studierte klassische Gitarre an der Hochschule für Musik München und später an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, während Ketan Bhatti Jazz Drums an der Universität der Künste Berlin studierte, wo er später als Komponist auch Stipendiat der Graduiertenschule für die Künste und die Wissenschaften war. Ihre gemeinsamen Arbeiten reichen von zeitgenössischer Kammermusik, über experimentelles Musikund Tanztheater, Bühnenmusik und Filmmusik, bis hin zu elektronischen Hip-Hop basierten Produktionen. Dabei spielen unter anderem subkulturelle Strömungen sowie die Interaktion akustischer und elektronischer Klanggestaltung eine wesentliche Rolle. Ihre Musik ist fester Bestandteil der Inszenierungen von Nuran David Calis an vielen größeren deutschsprachigen Theaterhäusern (unter anderem Deutsches Theater Berlin, Schauspiel Köln, Staatstheater Dresden), sowie der international tourenden Break Dance Shows der Berliner Dance Company Flying Steps. Ketan und Vivan Bhattis Musiktheaterstücke basieren auf Kooperationen mit Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Roland Schimmelpfennig, befassen sich oft unter anderem mit gesellschaftlicher Heterogenität in der postmigrantischen Wirklichkeit und wurden zu Beispiel an der Neuköllner Oper, der Staatsoper Hannover oder der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin (ur-)aufgeführt.
Die Werke der Bhatti-Brüder wurden von verschieden Ensembles, wie dem Berliner/Isländischem Ensemble Adapter, dem WDR Funkhausorchester oder dem Ensemble Resonanz unter anderem auf Festivals wie dem Wien Modern Festival, dem Jazzfest Berlin oder den Nibelungenfestspielen in Worms aufgeführt. Mit Cymin Samawatie gründete Ketan 2013 das Trickster Orchestra für zeitgenössische, transtraditionelle Klangwelten, das 2022 mit dem Deutschen Jazzpreis und dem tonali arward ausgezeichnet wurde und sich mit Fragen zur Dekolonisierung zeitgenössischer Musik befasst. Zusammen vertonten Vivan und Ketan die jüngsten Verfilmungen von Wedekinds Frühlings Erwachen und Büchners Woyzeck mit Tom Schilling.
Ketan Bhatti blickt auf zahlreiche Veröffentlichungen (unter anderem bei ECM) und internationale Konzerte sowie auf Stipendien und Auszeichnungen des Deutschen Musikrats, des Berliner Senats und des Goethe-Instituts zurück. Als Komponist eines mit Simon Stockhausen aufgeführten Konzerts für #Jazz und #Neue #Elektronische #Musik wurde Ketan Bhatti mit dem Karl Hofer Preis 2008 ausgezeichnet. Von Januar bis Juni 2017 war Ketan Bhatti Stipendiat der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Vivan und Ketans gemeinsames orchestrales Debütalbum Flying Pictures at an Exhibition wurde vom Berlin Music Ensemble eingespielt und ist auf Sony Classical erschienen.
Die Librettistin
Christiane Neudecker, aufgewachsen in Nürnberg, studierte Theaterregie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und lebt als freie Schriftstellerin und Diplom Regisseurin in Berlin. Für ihre im Luchterhand Literaturverlag erschienenen Romane und Kurzgeschichten wurde sie mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihre 2015 veröffentlichte Sommernovelle erreichte die Spiegel Bestsellerliste, ihr Roman »Der Gott der Stadt« wurde 2020 für den Uwe Johnson Preis nominiert.
Seit 2001 ist sie Mitglied von »phase7 performing.arts«. Von ihr verfasste Libretti wurden unter anderem uraufgeführt an der Deutschen Oper Berlin (Himmelsmechanik, Komposition Christian Steinhäuser, 2013), der Semperoper (Chasing Waterfalls, Komposition Angus Lee und Kling Klang Klong, 2022) und auf dem Berliner Bebelplatz (»C – The Speed of Light«, Komposition Christian Steinhäuser und Sasse Baumhof, 2005). 2021 war Christiane Neudecker Storm Schreiberin der Theodor Storm Gesellschaft.
Musikalische Leitung
Anne Hinrichsen ging 2007 nach Zürich, um sich im Rahmen der Orchesterakademie des Zürcher Opernhauses in den Bereichen Orchesterklavier und Korrepetition fortzubilden. Bereits während ihres vorherigen Klavierstudiums in Lübeck (bei Jacques Ammon und Konstanze Eickhorst) und Freiburg (Gilead Mishory) entwickelte sie eine große Leidenschaft für Orchesterliteratur und spielte sowohl als Orchester pianistin als auch als Kammermusikpartnerin unter anderem mit dem NDR Sinfonieorchester Hamburg, den Hamburger Philharmonikern, dem Luzern Festival Orchester, der Philharmonia Zürich und dem Berner Sinfonieorchester. Ihre umfassende Tätigkeit als Klavierbegleiterin führte Anne Hinrichsen an die Zürcher Hochschule der Künste Fach Blattspiel/Korrepetition angestellt war. Ausgelöst durch die langjährige Tätigkeit als Chorleiterin nahm das Dirigieren mehr und mehr Raum im beruflichen Profil der Pianistin ein und so absolvierte sie einen CAS bei Marc Kissoczy im Fach Orchesterleitung und verfolgt diesen Weg seitdem mit größter Begeisterung und Hingabe. Wichtige Impulse erhielt sie von Dirigenten wie Dan Ettinger, Kevin John Edusei, Jaap van Zweden, David Zinman und Douglas Bostock. In den Spielzeiten 2015/16 und 2017/18 wirkte Anne Hinrichsen am Konzerttheater Bern als Korrepetitorin und musikalische Leiterin der Produktion The Medium von G. C. Menotti und der Kinderproduktion Ritter Odilo und der strenge Herr Winter. Anfang 2019 war sie als musikalische Assistentin der Produktion Humanoid (Leonard Evers, UA) tätig und dirigierte mehrere Vorstellungen in Winterthur (Musikkollegium Winterthur). In der Spielzeit 2019/20 war Anne Hinrichsen für einen Teilspielzeitvertrag als Korrepetitorin mit Dirigierverpflichtung am Konzerttheater Bern engagiert und übernahm als musikalische Assistentin von Matthew Toogood und Thomas Rösner Nachdirigate von Rossinis Barbiere di Siviglia und der Tanzproduktion Swan. Seit August 2020 wirkt Anne Hinrichsen als Studienleiterin und Kapellmeisterin am Theater Bielefeld und hatte bereits die musikalische Leitung der Produktionen Dunkel ist die Nacht, Rigoletto!, Rusalka und Der Besucher inne. (ZHdK), wo sie von 2007 bis 2020 als Korrepetitorin und Dozentin des Precollege tätig war.
Inszenierung
Wolfgang Nägele, geboren in Landsberg am Lech, studierte Literaturwissenschaften und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeiten von ihm waren unter anderem an der Bayerischen Staatsoper, der Hamburgischen Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, an der Staatsoper Hannover, am Theater Basel, am Staatstheater Darmstadt, am Staatstheater Mainz, bei der Musikbiennale Venedig und der Philharmonie Luxemburg zu sehen. Zuletzt Don Pasquale am Theater Basel, Boris Godunov am Staatstheater Mainz und die Uraufführung Delirio von Zad Moultaka an der Deutschen Oper Berlin. In Bielefeld inszenierte er Dead Man Walking von Jake Heggie und Paradise Reloaded von Peter Eötvös.
Seit 2014 arbeitet er außerdem regelmäßig in Russland. Dabei entstanden die Stückentwicklung Luftlinie 2411 | Прямая линия 2411 mit russischen und deutschen Schauspielern, Der Kaiser von Atlantis mit Sängern der Tsaritsinskaya Opera Wolgograd und das Kleistprojekt Es wachsen Flügel mit Schauspielstudierenden aus Astrachan (Russland), Lublin (Polen) und Berlin, das bei den Kleistfesttagen 2017/2019 in Frankfurt an der Oder zu sehen war.
Von 2007 bis 2016 verband ihn eine enge Zusammenarbeit mit dem Regisseur Hans Neuenfels, mit dem er unter anderem bei den Salzburger #Festspielen, am Volkstheater München, am #Aalto #Theater #Essen, bei den Schwetzinger Festspielen, an der Bayerischen Staatsoper, bei den Bayreuther Festspielen, der Berliner Staatsoper Unter den Linden, am Opernhaus Zürich und der Oper Frankfurt arbeitete.
Wolfgang Nägele war von 2014-2016 Stipendiat der Akademie Musiktheater Heute der Deutschen Bank Stiftung. Mit seinem Konzept von Don Pasquale war er Semifinalist des Ring Award 2017 und gewann den Tischlerei Preis der Deutschen Oper Berlin. Als Auszeichnung für das interaktive Jugend-Stationentheater Komm, wir machen eine Revolution! gewann er 2012 den Kulturförderpreis der Stadt Landsberg am Lech.
Besetzung
- Erzähler Franz Biberkopf, Reinhold Moroskiewicz, Mieze, Alter Mann, 3. Tod, Minna, Thomas Wolff, Evgueniy Alexiev, Lorin Wey, Veronika Lee, Lou Denès Moon Soo Park Franziska Hösli
- Sprechchor (»Die Stadt spricht«, diverse Rollen) Oliver Baierl Brit Dehler Lukas Graser Fabienne-Deniz Hammer Stefan Imholz Nicole Lippold Doreen Nixdorf Tom Scherer
- Tänzerin (»Die Stadt tanzt«) Shannon Leypoldt