Gutachten zeigt Schwachstellen bei Digitalisierung von Schule, fragwürdiger Nutzen von Lernprogrammen, Philologenverband NRW

Düsseldorf, 19. Oktober 2022

  • Ökonomisch technische Aspekte wichtiger als Pädagogik und Didaktik

  • Digitales Lernen verbessert kaum die Chancengerechtigkeit

  • Fragwürdiger Nutzen von Lernprogrammen und Learning #Analytics

Die gerade einmal 44 Seiten des Gutachtens haben es in sich. Auf ihnen beleuchtet der renommierte Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Karl Heinz Dammer von der #Pädagogischen #Hochschule Heidelberg die Digitalstrategien des Landes #Nordrhein #Westfalen und der #Kultusministerkonferenz (KMK). Im Auftrag des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen (PhV NRW) hat Dammer sich im Frühjahr dieses Jahres die jeweiligen Strategien angesehen und legt in seiner wissenschaftlichen Untersuchung die Schwachstellen der #Digitalisierung von Schule und Bildung offen. »Wir als Philologenverband wollen beim Thema Digitalisierung einen möglichst breiten Diskurs ermöglichen und aufrechterhalten – das Gutachten liefert nun die wissenschaftlichen Argumente dazu«, sagt die #PHV NRW Vorsitzende Sabine Mistler.

In seiner Untersuchung belegt Dammer, dass die treibenden Kräfte hinter der Digitalisierung von Schule(n) und Bildung nicht von bildungspolitischen Fragestellungen geleitet werden, sondern vor allem ökonomischen Interessen folgen. Diese beträfen nicht nur die Schule, sondern »seien in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung eingebunden«. Als Beispiel nennt der Wissenschaftler die häufig benutzte Bezeichnung »Bildung 4.0« und folgert: »Damit wird, trotz aller Beteuerungen, die pädagogische Seite als für die Schulentwicklung ausschlaggebender Faktor vernachlässigt.«

Vorzüge digitaler Medien

#Skepsis sei immer dann geboten, wenn es um vermeintliche Vorzüge digitaler Medien gehe. Eine individuelle Förderung schwächerer #Schüler sei durch den Einsatz zwar möglich, »aber erst dann, wenn eine Lehrkraft als unterstützende Instanz hinzutritt«. »Das Abarbeiten digital dem Lernniveau angepasster Aufgaben darf nicht mit Förderung verwechselt werden«, schreibt Dammer. Dies sei auch der Grund, weshalb die Behauptung, mit dem Einsatz digitaler Medien in Schulen werde die Chancengerechtigkeit erhöht, mit Vorsicht zu genießen ist. Bisher gebe es keine einschlägigen Belege dafür, sondern eher für das Gegenteil: »Gesellschaftlich entstandene Probleme können nicht allein technisch gelöst werden.«

Learning Analytics

Besonders hart geht der Pädagogikprofessor mit sogenannten Learning Analytics ins Gericht – also dem massenhaften Sammeln, Analysieren und Auswerten von Daten über Schüler, aber auch über Lehrkräfte. Ihr didaktischer Nutzen sei begrenzt, stellt Dammer fest, »da sie Lernprozesse #Algorithmen unterwerfen, aber in bisher nicht gekannten Umfang die Kontrolle von ›Lernenden‹, ›Lehrenden‹ und Schulen ermöglichen«. Grundsätzlich ließen sich die digitalen Medien zugeschriebenen Vorzüge nur sehr bedingt empirisch untermauern. Mehr noch: »In diesem Zusammenhang kann es problematisch sein, wenn die Lernwirksamkeit neuer Lernprogramme erst durch ihren schulischen Einsatz experimentell überprüft wird und Schülerinnen und Schüler somit als Versuchspersonen fungieren.« Aus Sicht des PhV NRW muss gerade über diese Aspekte der #Digitalisierung ein offener wissenschaftlicher Diskurs geführt werden.

Schwachstellen bei Digitalisierung von Schule(n)

»Das Gutachten zeigt uns sehr deutlich die Schwachstellen bei Digitalisierung von Schule(n) und ihre Grenzen auf. Sie ist, anders als von der Politik häufig behauptet, kein Allheilmittel – das zeigen auch die Ergebnisse der jüngsten IQB Studie«, sagt Sabine Mistler. Im IQB Bildungstrend belegen Grundschüler aus NRW die hinteren Plätze. »Wir müssen unbedingt Konsequenzen aus den negativen pädagogischen und didaktischen Nebenwirkungen der Digitalisierung ziehen«, so Mistler. Dammer fordert in seiner Untersuchung eine »Technologiefolgeabschätzung« – also eine »Untersuchung der politischen, gesellschaftlichen, pädagogischen und ökologischen Konsequenzen der Digitalisierung«.

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Autor Prof. Dr. Karl Heinz Dammer

Prof. Dr. Karl Heinz Dammer ist Professor für Allgemeine #Pädagogik am Institut der Erziehungswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Fachartikel und Monografien. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem #Philosophie und #Theorie von #Bildung und #Erziehung; Geschichte der Schule; Kritische Erziehungswissenschaft sowie Bildungsreformen. Dammer kennt den praktischen Schulalltag aus seiner Zeit als Lehrer am #Gymnasium und Berufskolleg.

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