Foto Arsenal Wien, Gundula Schulze Eldowy: »Schattenwinde«, Mari Katayama: »Mine and Yours«, 1. September bis 19. November 2023
- Foto Arsenal Wien eröffnet am 31. August 2023 mit 2 herausfordernden Ausstellungen an den Grenzen von Tabus
Wien, 4. August 2023
Nach der zehnten, erstmals von Foto Arsenal Wien organisierten #Foto #Wien startet das neue Zentrum für #Fotografie und #Lens #Based #Media den Ausstellungsherbst mit zwei großen Erstpräsentationen in Österreich. Mit rund 120 Arbeiten ist Gundula Schulze Eldowy, eine der wichtigsten Vertreterinnen der deutschen Dokumentarfotografie, in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Österreich zu sehen. Parallel zeigt die viel beachtete japanische Multimedia Künstlerin Mari Katayama eine Auswahl ihrer aufwändig gestalteten Selbstinszenierungen. In ihren schonungslosen Erkundungen von Zuständen hinterfragen die beiden Künstlerinnen Wahrnehmungen, Normen und Konventionen. Sie zeigen Gegenbilder voller Irritationen, Provokation und Poesie.
Gundula Schulze Eldowy: »Schattenwinde. Berlin und der Osten 1979 bis 1990«
Ein mageres #Schaf auf dem Schlachthof, Balletttänzerinnen in einer Tanzschule, Arbeiter in großen Industrieanlagen, ein blutiger Kreissaal – zwischen den späten 1970er Jahren und dem Zerfall der #DDR analysiert Gundula Schulze Eldowy (geboren 1954) in verstörenden Bildern den Zustand eines Landes. Ohne Auftrag bewegt sich die junge Frau an die Grenzen von Tabus. Ost Berlin und der Osten Deutschlands gleichen einer verlorenen archäologischen Stätte, die manchmal unerwartet bezaubernd ist. Es entstehen Reportagen von einer untergehenden, unbekannten, unter Verschluss gehaltenen Welt. Zugleich sind diese urbanen Streifzüge nichts anderes als Ausflüge in die innere, fremde Welt der Künstlerin, immer mit Augenmerk auf Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Verfall, Einsamkeit, Armut, Skurriles, Zeugnisse des ostdeutschen Alltags. Schulze Eldowy produziert Gegenbilder zu der staatsoffiziellen, gewünscht idealisierten Sicht auf die DDR; sie werden häufig zu #Metaphern, die weit über den Zustand des Landes hinaus die Entfremdung des Menschen in der modernen Zivilisation im Blick haben. Die zivilisationskritischen Bilder, die Gundula Schulze Eldowy überwiegend in Ost Berlin und später auch in Dresden und Leipzig aufgenommen hat, gehen oft an die Grenzen des Erträglichen. Sie zeigen Zuneigung und erscheinen frei von jeglicher Scham.
Foto Arsenal Wien präsentiert 2 Hauptzyklen der Künstlerin erstmals in Österreich: Für »Der große und der kleine Schritt« fotografiert Schulze Eldowy 1982 bis 1990 in Industrieanlagen, Ballettschulen, Kreissälen, Schlachthäusern und auf der Straße in ostdeutschen Städten  als eine der wenigen Künstler:innen der DDR in Farbe und als einzige Frau. Anfang der 1980er Jahre freundete sie sich mit Tamerlan an, deren Leben sie einige Jahre lang dokumentiert und die sie bis zu ihrem Tod begleitet. Die gleichnamige Porträtserie ist aus dieser prägenden Begegnung entstanden. Gundula Schulze Eldowys fotografisches Werk ist in internationalen Sammlungen unter anderem im »MoMa« New York vertreten. Ausstellungen zuletzt unter anderem »Halt die Ohren steif!!: Robert Frank und Gundula Schulze Eldowy in New York« in der Kunsthalle Erfurt und in der Photobastei, Zürich (2018/2019), »Corps impatient« im Rahmen der Rencontres de la Photographie, Arles (2019). Auszeichnungen unter anderem Overseas Photographers of Higashikawa Photo Fiesta 1996. Neben der fotografischen und filmischen Arbeit entstanden Erzählungen, Gedichte, Aufsätze, Ton Collagen und Gesänge. Schulze Eldowy lebt in Berlin und Peru. Die Ausstellung in Wien umfasst rund 120 Aufnahmen und eine Videoarbeit.
Mari Katayama: »Mine and Yours«
Die inszenierten Selbstporträts der japanischen Künstlerin Mari Katayama (geboren 1987) stehen nur vordergründig im Kontrast zu Schulze Eldowys schonungslosen Reportagen über ein zerfallendes Land. Im Zentrum von Katayamas Praxis steht die alltägliche Erfahrung des Lebens in ihrem eigenen Körper, den sie als lebende Skulptur, Schaufensterpuppe und Instrument zur Reflexion der Gesellschaft nutzt. In ihren aufwändigen Selbstporträts platziert sie sich inmitten einer Reihe von sorgfältig konstruierten, selbst genähten Objekten wie einer lebensgroßen #Puppe. Die Kombination von Katayamas Objekten und Fotografien fordert den Betrachter heraus, den Körper und seine komplexe Beziehung zu Umwelt und Gesellschaft zu hinterfragen.
Nach der Amputation ihrer Unterschenkel aufgrund einer tibialen Hemimelie im Alter von 9 Jahren verbarg Katayama ihre körperliche Beeinträchtigung, damit sie wie »alle anderen« leben konnte. Erst im Alter von 16 Jahren begann sie, bewusst zu schaffen und sich als Künstlerin zu sehen. Seitdem nutzt Katayama ihren Körper, der ständig seine Form, Größe und Rolle in der Gesellschaft verändert, als kreatives Mittel, um sich der Gesellschaft zu nähern, sie zu reflektieren und mit ihr in Verbindung zu treten. Gleichzeitig will sie über diesen Weg auch unsere Besessenheit von (künstlich hergestellter) Schönheit erforschen. Obwohl Katayamas Arbeit persönliche Angelegenheiten als Ausgangspunkt nimmt, sind diese persönlichen Angelegenheiten nicht ihr Thema. Der Kern der Fragen und Perspektiven, die sich aus ihren Arbeiten und ihrem Wirken ergeben, ist stets auf die Gesellschaft gerichtet.
Katayamas Tätigkeit weitete sich allmählich von Selbstporträts auf das Fotografieren der Körper anderer Menschen aus, sie begann für ihre Arbeiten die Hilfe von anderen einzubinden. Diese Erfahrungen, zusammen mit der allmählichen Erweiterung ihres Arbeitsstils, ließen Katayama sowohl die Schwierigkeit als auch die Kraft des »Zusammenlebens« verstehen. Schließlich konnte sie nicht mehr sagen, dass ihr Körper ihr gehört, weil seine Vitalität durch zahlreiche Menschen und Mechanismen ermöglicht wird, wie Orthopädie Techniker, die ihren Körper besser kennen als sie selbst, oder Behindertenfürsorgesystem, Familie und Freunde. Katayamas Bilder und Objekte beschäftigen den Betrachter mit grundlegenden Fragen über den Körper und die komplexen mit ihm verbundenen Themen, wie zum Beispiel vorurteilsbehaftete Blicke, soziale Etikettierungen und das, was als richtig oder falsch angesehen wird. So wie Katayama bei der Herstellung von Objekten jeden einzelnen Stich spürt, spiegelt und verdeutlicht die Erfahrung ihrer Arbeit Haltungen und gesellschaftliche Rollen.
Mari Katayama lebt in Gunma, #Japan. Ihre Werke befinden sich in den Sammlungen internationaler Museen, darunter die Tate Modern in London. Nach großen Präsentationen im Maison Européenne de la Photographie in Paris im Jahr 2021 und der 58. Biennale von #Venedig umfasst die #Ausstellung in Wien rund 30 Fotografien und #Installationen.
Ãœber Foto Arsenal Wien
Foto Arsenal Wien ist das neue Zentrum für fotografische Bilder und Lens Based Media in Österreich. Von der Stadt Wien im Herbst 2022 initiiert, präsentiert und vermittelt die Institution zeitgenössische Fotografie in allen Erscheinungs  und Verwendungsformen. Der temporäre Standort im MuseumsQuartier Wien wird Ende 2024 durch eine eigene Ausstellungshalle im Arsenal Gelände abgelöst. Als Plattform organisiert Foto Arsenal Wien auch die Foto Wien, Österreichs größtes, biennal veranstaltetes Festival für Fotografie, das im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie (EMOP) stattfindet. Künstlerischer Leiter von Foto Arsenal Wien und Foto Wien ist Felix Hoffmann.