Gütersloh: Richtiges im Falschen?
- Adornos #Gedanke über seine #Wohnsituation in New York (»Es gibt kein richtiges Leben im falschen«) ist zu einem Geflügelten Wort geworden, das tiefgründig klingt, aber universell interpretiert geradezu bösartig ist. Er hat wohl nicht »korrektes Leben« gemeint, sondern eher »richtig tolles #Leben«.
Gütersloh, 11. November 2023
In einem Gütsler Anzeigenblatt zieht Thomas Wagner Konert durch #Gütersloh und die Stadt durch den #Kakao. Man gehe notorisch zwei Schritte vorwärts und einen zurück, im Bahnhofsviertel treffe man auf soziale #Verwahrlosung, auf im Elend Gestrandete und #zwielichtige #Gestalten, die Strengerstraße lasse wenig Gutes hoffen und sie sie durch #Wettbuden, #Dönerläden, kurzzeitige #Einzelhandelsversuche, #Handyläden geprägt – sie sei eine Straße, die man sich selbst überlasse. Davon abgesehen, dass das nichts Schlechtes ist – die erfolgreichsten Viertel sind laut Nassim Nicholas Taleb die, von denen die Stadtplaner die Finger gelassen haben – findet der Gütsler in der Strengerstraße aber auch das #Moto 59, das #Alex, die Sparkassentochter #SKW Haus und Grund, die selbst Sparkasse, das #Café #Fritzenkötter und andere Anbieter.
Die »Falschen« halten sich auf
Weiter geht’s zum Konrad Adenauer Platz vor der #Sparkasse, der schön aussehe, auf dem man sich aber nicht aufhalten wolle. Tut man im Sommer aber doch ganz gerne, besonders an den Wasserspielen. Ein Gütsler #Reservist spricht von einem »#Hubschrauberlandeplatz«, einige Gütsler Geschäftsleute haben kürzlich erneut den Verlust der Parkplätze beklagt, es ist seit Längerem ein #Wasserspender geplant – vielleicht als Kontrastprogramm zur #Cortenstahlwand, die gegenteilig genutzt wird, und man stellt kein #Pissoir dort auf. Im besagten Artikel heißt es weiter, dort würden sich spätestens abends die »Falschen« aufhalten. Nach Ansicht des Autors gibt es also »falsche« Menschen? Und wer wären im Dunkeln die »Richtigen«, die sich dort aufhalten mögen? Das wahre Großstadtleben überrascht offenbar die geruhseme #Heidestadt (»Gütersloh in sand’ger Heide, wer Dich vergisst, der tut mir leide«, so ein Pennälerspruch Anfang des 20. Jahrhunderts). Vielleicht tut eher eine #Citywache à la #Davidwache Sankt Pauli Not, die auch nächtens besetzt ist.
Das Trolley Dilemma
Das Trolley Dilemma ist bekannt aus der Hypothetischen #Philosophie und der #Spieltheorie. Eine #Straßenbahn rast unaufhaltsam auf Leute, die auf den Gleisen stehen, zu und wird sie umbringen. Der Proband kann eine Weiche umlegen, sodass die Straßenbahn auf ein Nebengleis umgeleitet wird, wo nur eine Person steht, die dann sterben wird. Was tut der Proband? In Wahrheit ist das Gedankenexperiment ein Gesinnungstest, ein Haltungstest. Natürlich darf man die Weiche nicht umlegen. Denn dann würde die eine Person durch das eigene Handeln sterben. Man könnte argumentieren, dass andernfalls mehrere Leute durch Unterlassen sterben würden. Der Punkt ist aber, dass man das Dilemma nicht selbst herbeigeführt hat. Und zu sagen, ein Leben sei weniger Wert als mehrere ist eine übliche Militärlogik. Das ist aber inhuman, zynisch und aus ethischer Sicht falsch. Jedes Leben ist gleich viel wert, die Werte lassen sich aber nicht aufsummieren, nicht addieren. Was wäre, wenn die eine Person das eigene Kind wäre?
Zu sagen, man sei #Schuld am #Tod der mehreren Leute, wenn man nichts tut – also Schuld durch Unterlassen – ist Mafia Logik: »Wenn Sie uns kein Schutzgeld zahlen, bringen wir jeden um, den Sie kennen«. Nein, man ist dann nicht Schuld. Die Mafiosi sind Schuld. Zumal man dem entgegenhalten kann, dass dann im ersten Fall durch Unterlassen quasi ein Leben gerettet wird. Was ist »besser«? Durch Unterlassen ein Leben zu retten, als durch Unterlassen (mehrere) Leben nicht zu retten? Wohlgemerkt: Die »Werte« von Leben lassen sich nicht addieren – das ist eine »völkische« Logik oder eine Gruppenlogik. Oder eben das Stellen des Wohls mehrerer über das Wohl einzelner. Das ist aber ebenso falsch. Stichworte »Schutz von Minderheiten« und »Nazilogik«.
Die Geschichte vom #Seestern
Vor einigen Jahren hat Dirk »Mr. Dax« Müller diese Geschichte kolportiert. Ein Junge am Strand wirft Seesterne zurück ins Meer. Am Strand liegen Zehntausende von sterbenden Seesternen. Jemand sagt dem Jungen: »Was tust Du? Das ist doch sinnlos. Du kannst sie nicht alle retten!« Der Junge wirft einen weiteren Seestern zurück: »Das stimmt. Aber diesen hier, den kann ich retten«. Unterlassung ist eben keine Handlung. Anders sieht es aus, wenn man etwas unterlässt, dass man ohne negative Folgen für Dritte und ohne einen unzumutbaren Preis, ohne unzumutbare Nachteile, hätte tun können. Dann gerät man schnell zu Themen wie »Tyrannenmord«, »Mitschuld«, »Kollektivschuld« et cetera. Und zur Abwägung der Mittel. »Hurra! Ich bin in die #Vergangenheit gereist und habe Hitler getötet!« »Wen?«
Unterlassung und Mitschuld
Man kann beispielsweise sagen, dass eine Unterlassung eine #Schuld oder #Mitschuld bedeutet. Das ist aber falsch. Was wäre, wenn es alle unterlassen hätten? Dann gäbe es überhaupt keine Tat, also auch keine Schuld. Im Kern geht es vor allem auch darum, ob der Zweck die Mittel heiligt. Das tut er nicht. Zum »Verzweckungsverbot« hat sich Kant ausgelassen. Alles Natürliche hat einen Selbstzweck. Ebenso wie alles Transzendente. Alles Künstliche hat keinen Selbstzweck – außer der Kunst, die man eben als etwas »Transzendentes« bezeichnen kann. Und das ist der große Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk – Letzteres ist nicht transzendent und hat keinen Selbstzweck, sondern einen Zweck. #Kunst kann einen #Zweck haben, hat aber immer auch einen Selbstzweck, sonst ist es keine Kunst. Ein weiterer Aspekt ist die Wahrscheinlichkeit, die #Ungewissheit. Man kann nicht wissen, ob das, was man unterlässt, nicht doch passiert (aus welchem Grund auch immer). Auch das steht der These, man haben dann Schuld, entgegen.
Der Brückenschlag
Was soll nun der #Brückenschlag vom Stadtrundgang zum #Trolley #Dilemma bedeuten? Es geht schlicht darum, wer nun für die vermeintlichen Stadtmängel verantwortlich ist oder sein sollte, wer sie lösen oder nicht lösen kann, wer schuldig oder unschuldig ist und zu wessen Wohl oder Wehe das alles ist oder sein könnte (oder eben nicht). Es ist allerdings so, dass viel mehr Wertschätzung stattfinden und Eigenintiative zugelassen werden muss.
»Während meiner aktiven Zeit habe ich mir in meiner Praxis nicht reinreden lassen. Und wir sehen und erleben ja, wohin die #Überreglementierung und der #Bürokratismus führen. Alles wird immer schlimmer statt besser – zugleich wird immer ausdrücklicher betont und versprochen, es werde schon noch besser. So wie es heute die Kollegen tun, habe ich meine Patienten jedenfalls nicht behandelt. Übrigens ist #Adorno nicht der einzige #Philosoph aus seiner Epoche, dem man nicht ganz zu #Unrecht vorwerfen kann, durch verquaste Sprache zu verschleiern, dass er eigentlich nichts zu sagen hat. Aber unser aller ›André #Rieu der Philosophie‹ ist natürlich auch nicht besser.«Ihr Doc #Reckhaus.