#Deutsche Aidshilfe: Sexarbeit in Deutschland: Der Druck nimmt zu – Hilfsangebote wichtiger denn je
Berlin, 10. April 2024
Was brauchen #Sexarbeiter für ihre sexuelle #Gesundheit? Eine Studie der Deutschen #Aidshilfe liefert Antworten und gibt beeindruckende Einblicke in sehr unterschiedliche Lebenssituationen.
Finanzielle und soziale Benachteiligung sowie Gewalt gefährden zunehmend die #Gesundheit von Sexarbeitern. Mit diesem Druck nimmt auch das Risiko von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) zu, ebenso die Angst davor. Das ist ein zentrales Ergebnis einer 2 jährigen Studie der Deutschen Aidshilfe (DAH) mit Förderung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Die Studie offenbart zugleich einen großen Bedarf an Informationen und die wichtige Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Die Ergebnisse beinhalten 11 konkrete Empfehlungen für Hilfs- und Präventionsangebote der Zukunft sowie den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Sexarbeit.
Umfassende Studie
Die Auswertung der Studie »Sexuelle Gesundheit und HIV/STI-Präventionsstrategien und Präventionsbedarfe von Sexarbeitern« weist dabei weit über die ursprüngliche Fragestellung hinaus. Nie zuvor hat eine wissenschaftliche Untersuchung die gesundheitliche Situation von Menschen in der Prostitution in Deutschland so vielfältig beschrieben – dies mit Blick auf Herkunft und geschlechtliche Identität ebenso wie auf verschiedene Motivationen für die Tätigkeit. Insgesamt 80 Sexarbeitern aus 23 Herkunftsländern haben in Gruppengesprächen ihre Erfahrungen mitgeteilt, unter ihnen solche, die illegale Drogen konsumieren (»Beschaffungsprostitution«), Transmenschen, Schwarze Menschen sowie Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen.
Hohes Interesse an sexueller Gesundheit
»Die meisten Studienteilnehmenden messen dem Thema sexuelle Gesundheit eine hohe Bedeutung bei und wünschen sich mehr Informationen zum Schutz vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen, insbesondere zur HIV-Prophylaxe PrEP. Diese Schutzmöglichkeit sollte auch häufiger in Gesundheitsämtern thematisiert und angeboten werden«, sagt Studienleiterin Eléonore Willems von der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Fast die Hälfte der Beteiligten hatte vor der Teilnahme an der Studie noch nichts von der medikamentösen Schutzmethode gewusst, viele hatten nur vage Kenntnisse.
Wichtige Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) spielen für die sexuelle Gesundheit von Sexarbeitern generell eine wichtige Rolle, insbesondere durch die kostenlosen und anonymen HIV/STI-Untersuchungsangebote nach Paragraph 19 Infektionsschutzgesetz. Doch nicht überall in Deutschland gibt es bedarfsgerechte Angebote: Beratung und Testmöglichkeiten müssen vielerorts besser auf die Bedürfnisse von Sexarbeitern abgestimmt werden, zum anderen müssen Gruppen wie Transfrauen, Drogen konsumierende Menschen oder migrantische junge Männer besser erreicht werden.
Dazu sagt Dr. Johanna Claass, Ärztin und Leiterin der Fachabteilung Sexuelle Gesundheit in der Sozialbehörde Hamburg sowie Mitglied im Projektbeirat der Studie: »Die Studie belegt eindrücklich, was wir in den Gesundheitsämtern täglich erleben: der ÖGD ist unverzichtbar für Menschen in der Sexarbeit. Es ist unsere Aufgabe, unsere Angebote gut bekannt zu machen, auch zu Randzeiten und über das Internet sowie in verschiedenen Sprachen ansprechbar zu sein. Noch aktiver müssen wir die Beratung zur #PREP angehen und die Verschreibung einfach und ohne unnötige Hürden gestalten.«
Krankenversicherungsschutz ist essenziell
Eine zentrale Hürde für viele Sexarbeiter ist ein fehlender Krankenversicherungsschutz. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Notwendigkeit, dass alle Menschen Zugang zur Krankenversicherung beziehungsweise bei Bedarf zur #HIV-Therapie oder HIV-Prophylaxe bekommen, auch Menschen ohne Aufenthaltspapiere. Nur so lässt sich die Gesundheit der Betroffenen schützen, Übertragungen werden sowohl durch die Therapie als auch durch die PREP verhindert.
Vier Kernprobleme
Die Forscher haben aus den Gruppengesprächen der Studie vier Kernprobleme identifiziert, die sich negativ auf die Gesundheit von Sexarbeitern auswirken …
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Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt
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Finanzielle Not
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Psychische Belastungen, oft in Zusammenhang mit Stigmatisierung
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Fehlende #Legalität und die Angst vor Strafverfolgung, etwa aufgrund von Sperrbezirken oder bei fehlender Anmeldung nach dem Prostituiertenschutzgesetz, bei Menschen ohne Aufenthaltspapiere die Angst vor Abschiebung.
Diese Probleme können Sexarbeiter am aktiven Schutz ihrer Gesundheit hindern. So kann es Menschen in Not schwerfallen, auf dem Gebrauch von Kondomen zu bestehen – während Kunden immer häufiger auf Verzicht drängen.
Ausgrenzung reduzieren, Hilfsangebote ausbauen
»Wenn Menschen mit existenziellen Problemen kämpfen, erscheint Gesundheit zweitrangig. Wir müssen Menschen in der Sexarbeit ganzheitlich stärken und Hilfsangebote ausbauen«, sagt Eléonore Willems, Studienleiterin bei der Deutschen Aidshilfe. »Stattdessen geht zurzeit an vielen Orten die Finanzierung für Hilfsangebote und Präventionsangebote zurück.«
»Um Menschen in der Sexarbeit zu schützen, müssen wir ihre gesellschaftliche Situation verbessern, indem wir die rechtliche Verfolgung und Ausgrenzung abbauen«, konstatiert Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe.
Caspar Tate, Sexarbeiter, Peer-Berater bei »trans*Sexworks« und Peer-Forscher in der partizipativen Studie sowie Mitglied im Projektbeirat aus Berlin führt aus: »Sexarbeitsfeindlichkeit, #Rassismus und Transmisogynie führen zu Gewalt gegen Sexarbeiter, ganz besonders gegen trans weibliche Sexarbeiter. Wir möchten mit #Respekt behandelt werden. Wir sind normale Menschen, keine Monster. Ausgrenzung und Isolierung haben eine negative Auswirkung auf die Gesundheit von Sexarbeitern. Durch Projekte von und für Sexarbeiter und akzeptierende Arbeit kann die Gesundheit in unserer Community gefördert werden.«
Lydia, Sexarbeiterin und Peer-Forscherin in der Studie aus Leipzig, sagt: »#Diskriminierung und #Kriminalisierung sind sehr belastend. In meiner Fokusgruppe waren Frauen, die ihr Arbeit gerne machen. Sie wünschen sich, offen über ihre Sexarbeit reden zu können, wie bei anderen Jobs auch. Können sie aber nicht. Sie haben Angst um ihren Hauptjob, Angst, dass ihre Kinder in der Schule gemobbt werden und Angst vor Benachteiligung, zum Beispiel bei Sorgerechtsstreitigkeiten oder bei der Wohnungssuche. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Austausch untereinander.«
Unterstützen statt Verfolgen
Eines zeigt die Studie sehr deutlich: Jede Form von Arbeit unter nicht legalen Bedingungen verdrängt Sexarbeiter in unsichtbare und unsichere Bereiche, wo sie für Prävention und Hilfsangebote nicht mehr erreichbar sind. Demensprechend sollten Sperrbezirke in allen Bundesländern abgeschafft werden. Dringend notwendig sind ein Ausbau von Sozialarbeit und Beratung sowie das Schaffen von Räumen für den Austausch untereinander.
Prävention auch für Kunden
Zudem muss die Prävention auch Kunden einbeziehen und dabei auf Respekt, faire Preise, die Nutzung von Kondomen sowie Aufklärung zu HIV und Geschlechtskrankheiten zielen.
Sexarbeit akzeptieren, Lebenssituationen verbessern
Nicht zuletzt gibt die Studie einen wertvollen Einblick in das Verhältnis, das Sexarbeiter zu ihrer Tätigkeit haben.
Studienleiterin Willems fasst zusammen: »Die dichotome Unterteilung in ›unfreiwillige #Prostituierte‹ und ›selbstbestimmte Sexarbeiter‹ ist zu kurz gedacht. Die Studienteilnehmer haben äußerst komplexe und vielfältige Empfindungen und Einstellungen gegenüber ihrer Tätigkeit beschrieben. Für viele ist #Sexarbeit eine #Ressource: die beste oder sogar einzige Möglichkeit für sie, Geld zu verdienen und damit den eigenen Lebensunterhalt und in manchen Fällen auch den ihrer Familien zu sichern. Allgemeine Bewertungen von Sexarbeit sind fehl am Platz. Wir müssen uns dringend auf die Verbesserung der Lebenssituation und der Gesundheit von Menschen in der Sexarbeit konzentrieren.«