Noch immer gibt es nur wenige, die sich im Fußball zu ihrer Homosexualität bekennen. Die »37°«-Reportage »"In der Abseitsfalle – kein Coming-out im Fußball?« geht am Dienstag, 8. Juni 2021, um 22.15 Uhr im ZDF der Frage nach, wie groß der seelische Druck ist, als Fußballer im Amateur- oder Profibereich nicht offen zu seiner Sexualität stehen zu können. Autorin Annette Heinrich spricht mit Thomas Hitzlsperger, Marcus Urban und Benjamin Näßler über ihre Erfahrungen als homosexuelle Männer im Fußball und darüber, wie wichtig ein offenes Bekenntnis für die Leistungsfähigkeit auf dem Platz und für das persönliche Glück ist. Wie prominente Akteure der Branche über Homophobie im Fußball denken, fragt »37°« auch den Ex-Cheftrainer und Vereinsrepräsentanten des FC St. Pauli, Ewald Lienen, die beiden Bundesliga-Spieler Christopher Trimmel und Christian Gentner von Union Berlin, den Teampsychologen der Nationalelf, Prof. Hans-Dieter Hermann, sowie den St.-Pauli-Fan und Sänger der Band Kettcar, Marcus Wiebusch. Wo sehen sie die Ursachen für die Tabuisierung und welche Ansätze gibt es derzeit für mehr Toleranz und Diversität? Die »37°«-Sendung steht am Sendetag ab 8 Uhr in der ZDF-Mediathek zur Verfügung.
Bislang gibt es keine Studie zur Anzahl schwuler Spieler in der Bundesliga und keinen aktiven deutschen Profispieler, der sich zu seiner Homosexualität bekannt hat. Thomas Hitzlsperger ist diesen Schritt gegangen – aber auch erst nach seiner aktiven Spielerzeit. Es dauerte lange, bis sich der heute 38-Jährige seine Homosexualität eingestand. Als er mit dem Gedanken spielte, sich zu outen, rieten ihm einige der Eingeweihten dringend davon ab. »Als Profispieler ist man ohnehin einem enormen Druck und der ständigen Öffentlichkeit ausgesetzt. Es braucht viel Selbstbewusstsein für ein Coming-out«, so Hitzlsperger.
Marcus Urban haben der Druck und die innere Zerrissenheit wohl die Karriere als Profifußballer gekostet. Als Jugendnationalspieler war er ein aufgehender Stern bei Rot-Weiß Erfurt. »Aber dass ich mich für Männer interessierte, wurde zu einem Riesenproblem für mich.« Urban, der für sein ästhetisches und passgenaues Spiel gefeiert wurde, gab sich zunehmend aggressiv auf dem Platz, pöbelte manchmal sogar mit homophoben Beleidigungen. »Ich wollte mit keiner Geste verraten, dass ich schwul bin.« Urban hatte Angst davor, zum Außenseiter zu werden. Schließlich gab er den Traum vom Profifußball auf. »Ich wollte lieber frei sein, als meine Sexualität und mein Wesen der Karriere wegen weiter zu verleugnen.«
Auch Benjamin Näßler hat seine Homosexualität jahrelang vor seiner Familie, seinen Freunden und seiner Mannschaft versteckt. Dabei spielte der heute 32-Jährige bloß in der Kreisliga in seiner schwäbischen Heimat. »Es ging eigentlich um nichts – und doch um alles. Ich wusste, was die Menschen in meiner Umgebung mit dem Wort ›schwul‹ assoziierten. Das war nie etwas Gutes.« Benjamin Näßler tat alles, um nicht aufzufallen. »Ich habe Freundinnen erfunden und mich machohaft benommen. Als mir alles über den Kopf wuchs, dachte ich sogar daran, mir das Leben zu nehmen.« Nach langen inneren Kämpfen fand Näßler den Mut, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Im Jahr 2019 wagte er sogar den Schritt an die Öffentlichkeit. »Vor allem jungen Spielern will ich es leichter machen, sich zu outen und stolz auf sich zu sein. Im Fußball geht es um Erfolg, und dabei ist es völlig egal, wen du liebst!«